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DSDI. Deutschland sucht den Impftermin.

DSDI. Deutschland sucht den Impftermin. Alle fiebern mit, wenn die Altersgruppe ~55 versucht, für ihre Ü80 Angehörigen einen Impftermin zu ergattern.

Online funktioniert das in fünf Bundesländern, darunter auch Baden-Württemberg, über ein Portal der Kassenärztlichen Vereinigung. Voraussetzung: eine sehr schnelle Internetverbindung und Mobilfunkempfang. Vor zwanzig Jahren, als ich die Webseite noch selbst in HTML geschrieben habe, wurde viel Wert auf „Usability“ gelegt. Der Begriff scheint mittlerweile aus der Mode gekommen, vielleicht ein Grund dafür, weshalb dieses Portal für Impftermine so kompliziert zu bedienen ist. Dass es darüber hinaus auch nicht barrierefrei gestaltet wurde, ist ein Skandal.

Telefonisch scheint es einfacher zu sein. Jedenfalls in der Theorie, auf den ersten Blick. Einfach nur 116117 wählen, was ich in der letzten Woche einmal, zweimal, dreimal, hundertmal gemacht habe.  

„Leider sind alle Leitungen Ihres Landkreises belegt. Versuchen Sie es später noch einmal.“

„Ihre Wartezeit beträgt derzeit acht, neun, zehn Minuten.“

Nach zwei Freizeichen ertönt die Ansage: „Leider sind derzeit alle Leitungen belegt.“ Tututut. Besetztzeichen.

„Sie wünschen eine Beratung zur Corona Impfung?“ – „Nein, ich will einen Impftermin vereinbaren.“ – „Da sind Sie falsch. Ich verbinde.“ Tututut. Besetztzeichen.

Erst beim gefühlt 50. Versuch erfahre ich, dass nicht ich zu blöd bin, die Tasten 1 oder 2 richtig zu drücken, sondern man automatisch „falsch“ verbunden wird, wenn es keine freien Impftermine gibt.

Kurz vor 7 Uhr morgens ruft ein Verwandter an. Ein Kollege von ihm hat gerade online einen Impftermin vereinbart, anscheinend wurden in der Nacht neue Termine freigeschalten. Sofort hänge Ich am Telefon und wähle 116117. „Leider rufen Sie außerhalb unserer Sprechzeiten an. Sie erreichen uns ab 8 Uhr.“

Ein paar Minuten nach 8 heißt es dann: „Leider gibt es keine freien Impftermine. Versuchen Sie es später noch einmal.“ Klar, bis die Telefonhotline ihre Arbeit aufnahm, waren bereits alle Termine online vergeben. Und dieses später ist inzwischen zu meinem persönlichen Unwort geworden. Wann später? In einer Stunde? Einer Woche? Einem Monat? Die 86jährige Mutter der Nachbarin hat deshalb mehrere Tage lang von morgens bis abends alle halbe Stunde die Nummer gewählt. Und anschließend weinend ihre Kinder um Hilfe gebeten. Eine Hilfe, die sie vorher strikt abgelehnt hatte. „Haltet ihr mich denn für so verkalkt, dass ich für mich keinen Termin mehr vereinbaren kann?“ hatte sie erbost gefragt.

Auf der Seite des Statistischen Landesamtes steht, dass im Neckar-Odenwald-Kreis ungefähr 17.000 Menschen im Alter über 75 Jahren leben. 10.000 Frauen und 7.000 Männer. Ich fange mal wieder an, zu rechnen. Abzüglich der Altersgruppe der 75-79jährigen und der Pflegeheimbewohner:innen bleiben über den Daumen gepeilt 10.000 Ü80, die im Kreisimpfzentrum geimpft werden sollen. Sie alle oder deren Angehörige, Nachbar:innen oder sonstige freundliche Menschen versuchen gerade genauso wie ich, telefonisch oder online einen Impftermin zu vereinbaren. Nein, zwei Termine, schließlich besteht die Corona Impfung aus einer 1. und einer 2. Impfung. Bei 150 Impfdosen pro Woche können derzeit also nur 75 Termine vereinbart werden. 75 Termine bei geschätzten 10.000 Interessent:innen.

„Wenn es in diesem Tempo weitergeht, dauert es ungefähr zweieinhalb Jahre, bis die Ü80 aus dem Neckar-Odenwald durchgeimpft sind“, teile ich der Liebsten das Ergebnis meiner Überlegungen mit.

„Du siehst das zu pessimistisch.“ Sie macht eine Gegenrechnung auf. „Tausend von denen sterben sicher in der Zwischenzeit. Weitere Tausend haben eh keine Angehörigen, die Termine für sie vereinbaren können. Und mindestens noch mal Tausend schaffen die 30, 40, 50 Kilometer bis ins Kreisimpfzentrum sowieso nicht.“ Stimmt. Manchmal scheint der fehlende ÖPNV in unserem ländlichen Flächenkreis auch gewisse Vorteile zu haben.

Da es telefonisch aussichtslos zu sein scheint, wollen wir es nun doch online versuchen. Am späten Nachmittag teilt der Landkreis auf Facebook (!) mit, dass für den nächsten Tag weitere 150 Impftermine freigeschalten werden. Es ist bereits dunkel, als ich mit Handy und Taschenlampe durch den tiefen Schnee stapfe. Hinauf zum Deckel der ehemaligen Güllegrube des Nachbarn. Dort befindet sich nämlich unsere Mobilfunkempfangstelefonstelle.

Die für das Terminportal Verantwortlichen der Kassenärztlichen Vereinigung haben vom ländlichen Raum so viel Ahnung wie Kühe vom Schlittschuhlaufen. Anders ist nicht zu erklären, weshalb der Verifizierungscode ausschließlich per SMS kommt.

Eigentlich sind wir mit der Schnelligkeit unseres Internets ganz zufrieden. Für unsere Bedürfnisse hat es bisher immer bestens gereicht. Wir können ruckelfrei Filme in HD Qualität sehen und gleichzeitig beide im Netz surfen, mehr brauchen wir nicht. Für die Terminvergabe der Kassenärztlichen Vereinigung, ich kann diesen Verein gar nicht oft genug erwähnen, hat sich unsere Internetverbindung allerdings als zu langsam erwiesen.

Der fast 90jährige Dipl. Ing., der noch bis vor zehn Jahren damit beschäftigt war, Betriebe durchzuorganisieren, versteht nicht, wo das Problem liegt. Was kann denn daran so schwierig sein, einen Impftermin zu vereinbaren?

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