Ich hasse Einkaufen, egal ob es sich dabei um den Erwerb notwendiger Lebensmittel oder (sowieso meist recht überflüssiger) Kleidung handelt. Dank der Gemüsekiste, die geliefert wird, des Bäckerwagens, der mehrmals die Woche vorbeikommt, und der vielen Shops im Internet muss ich mich dafür wenigstens nur noch selten aus dem Haus begeben.
Manchmal jedoch lässt es sich nicht umgehen und gemeinsam mit der Liebsten statte ich dem Supermarkt in Kreisstadt einen Besuch ab. Seit der Freigabe der Ladenöffnungszeiten erledigen wir das am liebsten samstags nach 22 Uhr, diese Zeit kommt unserem Biorhythmus wirklich sehr entgegen. Wir sind beide hellwach, die Liebste, weil sie ein Nachtmensch ist und ich, weil ich dann bereits ein, zwei Stunden vor dem Fernseher gedöst und mich vom Stress des Tages erholt habe.
Jedes Mal wieder überkommt mich bei diesen Ausflügen ein merkwürdiges Gefühl, ich habe mich noch immer nicht daran gewöhnt, »mitten in der Nacht« einkaufen zu gehen. Es ist ein wenig wie Urlaub, ganz besonders im Sommer. Bin ich wirklich in einer deutschen Kleinstadt oder nicht doch irgendwo in Südfrankreich? Manchmal kann ich es kaum glauben, dass der jahrelange Protest gegen das Ladenschlussgesetz erfolgreich war. Dass mir »fauler bürgerlicher Wohlstandskuh« mein Wunsch, »Verkäuferinnen als Sklavinnen zu halten« tatsächlich erfüllt wurde …
… eine überfüllte Fußgängerzone in den 80igern. Kind 2 hockt brüllend im Kinderwagen, Kind 1 trottet quengelnd nebenher, erst die Hälfte der Punkte auf unserer Erledigungs- und Einkaufsliste ist abgehakt und in knapp zwei Stunden schließen die Geschäfte. Was jetzt nicht erledigt werden kann, muss bis nächsten Samstag warten, vielleicht steht uns wieder eine Woche ohne frisches Obst und Gemüse bevor. Denn wenn ich abends aus dem Büro komme, haben die Geschäfte entweder bereits schon geschlossen oder in der fast leeren Gemüsetheke besteht die Auswahl nur noch aus zermatschten Tomaten und faulen Äpfeln. Frischmilch ist längst vom Speiseplan gestrichen, H-Milch erfüllt auch ihren Zweck.
Plötzlich versperrt mir ein Mann den Weg, er ignoriert sowohl die Kinder als auch mein abweisendes Gesicht, stattdessen fordert er mich sehr energisch auf, eine Petition mit Titel »Hände weg vom Ladenschlussgesetz« zu unterschreiben. Erst jetzt nehme den Stand einer Gewerkschaft wahr, ein plakatierter Stützpunkt von noch mehr Männern, die gestresste Frauen mit Unterschriftenlisten belästigen. Mühsam lächelnd verweigere ich die Unterschrift, oute mich als Befürworterin einer Verlängerung der Ladenöffnungszeiten und werde angeschrien: »Es ist eine Schande, dass ausgerechnet so faule bürgerliche Wohlstandskühe, die es nicht nötig haben, arbeiten zu gehen, nicht bereit sind, auf Verkäuferinnen Rücksicht zu nehmen, das ist doch wie Sklavenhaltung. Beweg deinen Arsch gefälligst tagsüber in die Geschäfte!«
Nicht nur mir hat es die Sprache verschlagen, Kind 2 stellt augenblicklich die Brüllerei ein und betrachtet den Mann fasziniert, schreiende aggressive Männer kommen in seiner Welt sonst nicht vor. Kind 1 wirkt verängstigt, will wissen, was eine Wohlstandskuh ist, an den »Arsch« erinnert es sich erst drei Wochen später.
In »unserem« Supermarkt besteht die Kundschaft am späten Samstagabend hauptsächlich aus zwei Gruppen: Heteropaare und Männer. Letztere streifen an den Regalen mit den Alkoholika vorbei, greifen nach Wein- oder Schnapsflaschen und reagieren äußerst ungehalten, wenn sie spätestens an der Kasse von dem Alkoholverkaufsverbot ab 22 Uhr erfahren. Doch da helfen kein Jammern und kein Flehen, die Verkäuferinnen bleiben eisern und geben höchstens mal die Empfehlung, zwanzig bis dreißig Kilometer weiter nach Hessen oder Bayern zu fahren und dort an der nächsten/ersten Tankstelle ihren Bedarf zu decken.
Bei den Heteropaaren scheint es übrigens Gesetz zu sein, dass ER den Einkaufswagen schiebt, SIE ihn füllt, ER gelegentlich äußert »So ein Scheiß brauchen wir nicht«, an der Kasse SIE alles aufs Band und wieder zurück in Wagen lädt, während ER die Brieftasche oder Kreditkarte zückt.