Vor Kurzem lernten wir eine nette Hetera kennen. Wir plauderten über dieses und jenes und dann sagte sie etwas, das die Liebste und mich noch Tage später erheiterte: »Ich habe ja keine Ahnung von der Lesbenszene, aber unter Frauen geht es bestimmt friedlich zu.«
Setzt Euch hier ein Lesezeichen, und wenn Ihr Morgen aufgehört habt zu lachen, könnt Ihr dann ja weiterlesen …
Auch auf die Gefahr hin, dass nun ein Mann der Marke Stammtischbruder oder eine homophobe Dame diese Kolumne lesen und künftig als Beweismittel bei einschlägigen Diskussionen verwenden werden, muss ich doch der Hetera ihre Illusionen rauben und ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern.
Mitten in meiner Coming Out Phase vor vielen Jahren verbrachte ich ein paar Tage in Berlin, um mal wieder Großstadtluft zu schnuppern und alte (hetera) Freundinnen zu treffen. Am U-Bahnhof Nollendorfplatz drückte mir eine Frau einen Flyer mit Veranstaltungshinweisen zur gerade stattfindenden Lesbenwoche in die Hand. Meine Freundin grinste und meinte: »Ich selbst sehe zwar keinen Unterschied zu früher, aber irgendwie scheinst du bereits etwas Lesbisches auszustrahlen.«
Einerseits war ich unglaublich neugierig, andererseits traute mich aber nicht allein zu den Lesben. So begleitete mich meine Freundin zu einer Veranstaltung, sozusagen zu meinem ersten Lesbenevent, und noch heute wundere ich mich darüber, dass es nicht auch gleichzeitig mein Letztes gewesen war und ich mir das mit dem Lesbisch sein nicht noch einmal überlegt habe. Worum es eigentlich hätte gehen sollen, weiß ich nicht mehr. Sehr gut erinnern kann mich allerdings an aggressive Frauen, die sich gegenseitig laut beschimpften und heftige Vorwürfe machten.
X hätte Y einen Schlüssel vorbeibringen sollen, was sie aber versäumt hatte. Weil Y afroamerikanischer Abstammung war, hieße das nichts anderes, als dass X eine Rassistin wäre, worauf Z mit einem Vortrag über die Probleme ihrer weiß-christlich-jüdischen Sozialisierung konterte, V sich die Vermengung der Worte christlich und jüdisch im ein und demselben Satz verbat, und W endlich mal geklärt haben wollte, warum bei dem Faxgerät immer ein rotes Licht leuchtete. Nach ungefähr einer halben Stunde flohen meine Freundin und ich eingeschüchtert. Es dauerte lange, bis ich mutig genug war, mich erneut einer Gruppe von mehr als drei Lesben zu nähern.
Auf meinem ersten Lesbenfrühling geriet ich aus Versehen in eine Diskussion über das Thema, ob einer Lesbe ein männliches Haustier gestattet sei und erlebte, wie eine Frau laut schluchzend aus dem Raum rannte. Sie wollte ihren Rüden nicht kastrieren lassen und war als »schwanzfixierte Heteraschlampe« bezeichnet worden. Ähnlich dramatisch ging es später auf dem Abschlussplenum zu. Bei der Frage, welche Toilette eine Transexuelle zu benutzen hätte, sah es kurzzeitig so aus, als würde der Dritte Weltkrieg ausbrechen.
Auf einem anderen Lesbenfrühling Jahre später beobachteten die Liebste und ich entgeistert eine richtige Schlägerei zwischen SM Frauen und Damen der Lesbenpolizei. Den Anfang hatten wir verpasst und auf das Ende und die Versorgung möglicher Verletzter verzichteten wir ebenfalls.
Die Liebste und ich gehören zur Gruppe der Landlesben und das bedeutet vor allem eines: Wir können es uns gar nicht leisten, große Grundsatzdiskussionen zu führen und an dem jeweiligen Lebensstil einer anderen Frau herummeckern. Wenn wir nicht vollkommen vereinsamen wollen, müssen wir uns arrangieren und viel Toleranz aufbringen … und stellen häufig fest, dass X oder Y eine wirklich nette Frau ist, auch wenn sie völlig anders lebt als wir. Eine Erfahrung, die wir in einer Großstadt vielleicht nie gemacht hätten.
Uns fällt immer wieder auf, dass Freundschaften zwischen Stadtlesben wesentlich instabiler zu sein scheinen als bei uns auf dem Land. Gibt es dort Auseinandersetzungen, wird der Kontakt einfach abgebrochen und nach neuen Freundinnen gesucht. Da wir diese Alternative gar nicht haben, sind wir gezwungen, Konflikte zu bearbeiten und nach Lösungen zu suchen – was uns oft sogar gelingt und deshalb die meisten unserer Freundschaften bereits seit sehr vielen Jahren bestehen.
»Ab welcher Einwohnerzahl sprichst du eigentlich von Landlesben?« wurde ich vor längerer Zeit mal in einer Mail gefragt. Eine Frau aus einem kleinen Dorf hatte das L-Mag mit dem Aufmacherthema »Lesben auf dem Land« (oder so ähnlich) gelesen. Da sie den Artikel ein wenig eigenartig fand, war sie bei google auf die Suche gegangen und schließlich bei der Karnele gelandet.
In einem Punkt konnten wir ihr sofort zustimmen: Wir hatten den Artikel auch mehr als eigenartig gefunden. Dass Frauen aus Fulda (ca. 60.000 Einwohner_innen) als Landlesben bezeichnet wurden, ließ uns ebenfalls nur die Köpfe schütteln.
»Als was sollen wir uns dann mit unseren 315 Einwohner_innen bezeichnen? Extrem-radikal-Landlesben?« hatte die Liebste verständnislos von mir wissen wollen. Ich konnte ihr das auch nicht beantworten und habe bei dem L-Mag nachgefragt, was man sich eigentlich bei diesem Artikel gedacht hatte. Leider ist darauf nie eine Antwort gekommen.
Die oben erwähnte Frau hat damals ihr L-Mag Abo gekündigt. Sie lebt in Ostfriesland und hatte sowieso schon immer das Gefühl, nicht zu der Zielgruppe dieser Zeitung zu gehören. »Ich bin über 50 Jahre, lebe auf dem flachen Land und bestehe auf Monogamie«, erzählte sie in einer zweiten Mail. »Jedes Mal, wenn ich das L-Mag durchgeblättert habe, komme ich mir wie eine rückständige alte Schachtel vor und werde depressiv.«
»Den Satz unterschreibe ich sofort!« sagte die Liebste und mir ging es eigentlich ähnlich. Die Option, aus Protest ein Abo zu kündigen, stand uns allerdings nicht zur Verfügung. Denn wir haben das L-Mag ganz bewusst über einen Zeitschriftenladen in der nächsten Kleinstadt bezogen – genau wir früher schon die TAZ und die EMMA, beides Zeitungen, die dort heutzutage zum selbstverständlichen Angebot gehören. Regelmäßig kaufen wir die einzige bundesweite Lesbenzeitung inzwischen auch nicht mehr und finden uns allmählich damit ab, dass wir außerhalb des Internets wohl kaum noch adäquate Informationsangebote für uns finden werden.
Es hat natürlich auch Vorteile: Von den meisten Auseinandersetzungen innerhalb der Lesbenszene bekommen wir nichts mit. Deshalb hätten wir eigentlich auf den obigen Satz: »Ich habe ja keine Ahnung von der Lesbenszene, aber unter Frauen geht es bestimmt friedlich zu.« im Brustton der Überzeugung antworten können: »Stimmt genau!«