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Lesbe? Landei? Männerhasserin? Wo ist meine Schublade?

Vergangene Nacht habe ich nur wenig Schlaf abbekommen. Die neue Kommentarfunktion auf der Karnele hat mich eine Weile in Trab gehalten. Zum ersten Mal musste ich hier Einträge löschen, bis es mir endlich gelang, die Diskussion in einen geschützten Chatbereich zu verlegen.

Auslöser des Ganzen war ein Zeitungsbericht über meine Winterhauch Lesung letzte Woche. Ein netter Artikel, der zwar einige inhaltliche Fehler aufwies, über den ich aber sonst nicht meckern konnte. Die alte Künstler_innenregel für den Umgang mit den Medien erfüllte er allemal: »Solange dein eigener Name richtig geschrieben ist, darfst du zufrieden sein!« Also habe ich ihn auch als Pressebericht hier auf die Karnele gesetzt.

Gegen Abend entdeckte ich den Kommentar von einer Leserin, die sich über die »falsche« Inhaltsangabe empörte. Einige Stunden später wurde dieser Eintrag erneut kommentiert und unversehens entbrannte durch den harmlosen Bericht in einer Regionalzeitung eine heftige Diskussion.

Die Schreiberin, ja den Text hatte tatsächlich eine Frau verfasst, obwohl die Meinung vorzuherrschen scheint, es handele sich um einen Mann – hatte anscheinend weder das Buch gelesen noch sich im Vorfeld über Nele Tabler informiert. Ihre Kenntnisse stammten wohl einzig aus der Lesung und es ist natürlich ein schwieriges Unterfangen, sich aus einzelnen Textpassagen und einigen Antworten auf Fragen ein Bild machen zu wollen.

Da ich mir allerdings lebhaft vorstellen kann, auf welche Weise sie das Los zur Berichterstattung getroffen hatte – nicht umsonst gibt es im Winterhauch den Praktikanten Björn von der Lokalzeitung und die Hamburger Anette, die in grauer Vorzeit einmal Publizistik studiert hat – nehme ich ihr die Mängel im Artikel nicht übel … und habe auch zunächst nicht weiter darüber nachgedacht … und deswegen in der Nacht dann auch einige der bissigen Kommentare gelöscht.

Es war die Liebste, die am Abend nach Hause kam, und mich mit »Ich wusste gar nicht, dass du eine Männerhasserin bist«, begrüßte. Genau diesen Schluss hatte ein Kollege von ihr aus dem Artikel gezogen und ich erfuhr, dass er mit dieser »Erkenntnis« leider nicht alleine war.

Die Diskussion im Chat ging u. a. auch um diesen Punkt. Wie konnte dieser Eindruck überhaupt entstehen? Männliche Autoren beschreiben in ihren Krimis sehr oft Frauen hassende Männer, ohne dass daraus jemals der Schluss gezogen würde, sie verabscheuten sämtliche ihrer Geschlechtsgenossen.

Letztendlich landeten wir mal wieder bei drei altbekannten Thesen: »Was für Männer selbstverständlich ist, dürfen sich Frauen noch lange nicht erlauben!« »Was für heterosexuelle Frauen selbstverständlich ist, dürfen sich Lesben noch lange nicht erlauben!« »Was für »einfach gestrickte« Frauen selbstverständlich ist, dürfen sich Feministinnen noch lange nicht erlauben!«

Völlig unabhängig, worum es geht: Texte, Standpunkte, Formulierungen werden immer mit dem Hintergrund der jeweiligen Person vermischt. Die »normale« Frau darf ruhig über ihren Männe meckern: »Der Kerl lässt seine dreckige Wäsche überall rumliegen! Ich könnte explodieren!« … Die Feministin hingegen sollte besser nicht schreiben: »Es ist mir ein Rätsel, weshalb mein Partner nicht weiß, wo in unserer Wohnung der Wäschekorb steht.« Die erste Feststellung wird mit wissendem Lächeln quittiert, die Zweite als zumindest latent vorhandener Männerhass interpretiert.

Für mich persönlich rückt darüber hinaus die Frage der Schubladen immer mehr in den Mittelpunkt. Ich empfinde es zunehmend schwieriger, über all die Dinge zu schreiben, die mich interessieren und die ich für wichtig halte. Es gibt Tage, da beschleicht mich manchmal der Verdacht, unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung zu leiden. Ich nutzte schon seit Langem verschiedene Pseudonyme, die diversen Themenbereichen zugeordnet sind. Das hat sich im Laufe der Jahre beinah automatisch ergeben, weil mir natürlich klar war, ein äußerst erotisches Buch für Lesben verträgt sich nicht besonders gut mit Texten, die in die Rubrik Religion gehören und sowohl das eine als auch das andere sollte besser nicht mit einem schmalzigen Liebesroman für Heteros in Verbindung gebracht werden können.

Dennoch scheine ich meine Person immer noch nicht in genügend Einzelteile zerlegt zu haben, wie mir aktuell die Erfahrung mit dem Winterhauch zeigt. »Ich habe keine Lust über Lesben zu lesen« – »Mich interessieren die Dorftrottel nicht«, ungefähr in dieser Bandbreite bewegen sich die Reaktionen.

Eine lesbische Journalistin, die sich schon mehrmals darüber mokiert hatte, weil meine Lesbenromane beinah ausschließlich im ländlichen Raum spielen, fragte mich ganz direkt, ob ich den Verstand verloren hätte. Es sei eine Verschwendung meiner Ressourcen gegen Selbstverständlichkeiten in unserer Gesellschaft auf die Art und Weise ankämpfen zu wollen. »Die Lesben interessieren sich nicht für das Landleben und die Heteros nicht für den lesbischen Alltag!« So einfach wäre das, meinte sie.

»Auf der Karnele gibt es eine abartige Mischung von Themen«, schrieb heute Nacht sinngemäß eine Frau im Chat. »Du schreibst über Gewalt gegen Bloggerinnen und in deiner nächsten Kolumne geht es um Kirchensteuern. Das passt doch einfach nicht zusammen! Ich lese deine Sachen gerne und liebe deinen Humor, aber ich kenne auch Frauen, die dich einfach nur für eine Labbertante halten. Deine Zielgruppe sind Lesben, Feministinnen, um die kümmerst du dich viel zu wenig!«

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