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Jung und Alt an die Wahlurnen

Meine Oma war 94 und schon etwas wacklig auf den Beinen, deshalb habe ich sie ins Wahllokal begleitet. Als wir in der Kabine standen, brüllte sie – sie war fast taub und nahm an, andere Menschen seien es ebenfalls -: »Wo soll ich denn jetzt mein Kreuzchen machen?«

»Hier«, sagte ich und zeigte auf den Kringel neben der SPD. Eigentlich dachte ich, irgendjemand würde nun einschreiten und Omas Wahl für ungültig erklären und mich vielleicht wegen Wahlbetrugs oder etwas in der Art anzeigen, aber nichts dergleichen geschah. Keiner hinderte sie daran, ihren Zettel in die Urne zu werfen und wir konnten unbehelligt das Wahllokal wieder verlassen.

Dennoch beschlossen wir nach diesem Erlebnis, dass Oma in Zukunft nur noch Briefwahl machen sollte. Ihre Demenz schritt fort, immer häufiger wähnte sie sich in ihrer Kindheit und Jugend, und als wir sie wieder einmal fragten: »Oma, was willst du denn wählen?« kam als Antwort: »KPD«.

Ich hätte keine Probleme damit gehabt, in ihrem Namen das Kreuzchen bei der KPD zu machen, nur leider tauchte diese Partei in der Auswahl nicht auf. Nach einer kurzen Familienkonferenz wurde einmütig beschlossen, dass Oma wieder SPD wählen wird. Aus einem einfachen Grund: In ihrem Leben gab es nur zwei Parteien. Bis zum Jahr 1933 bzw. bis ca. 1952/53 hatte sie KPD gewählt und danach ausschließlich die SPD, vollkommen egal, welche Kandidat_innen aufgestellt worden waren oder welche Themen in der Politik gerade eine wichtige Rolle spielten. Es war nicht anzunehmen, dass sich daran etwas geändert hätte, wenn sie noch den Durchblick gehabt hätte.

In Deutschland sind derzeit ca. 1,2 Millionen Menschen an Demenz erkrankt. Expert_innen gehen davon aus, dass bis 2030 diese Zahl auf 2,5 Millionen ansteigen wird. Politisch unberechenbare Frauen und Männer, denen von Ausnahmen abgesehen niemand das Wahlrecht streitig machen wird, die entweder nicht zur Wahl gehen werden, d.h. die Wahlbeteiligung wird noch mehr sinken, oder für die Verwandte, Pflegekräfte usw. das Kreuzchen machen werden.

Unter diesem Aspekt halte ich ein Wahlrecht für Kinder für mehr als angebracht … ganz so, wie es hier formuliert wurde:

»Und zwar ab dem Zeitpunkt, wenn diese sich grundlegende Informationen selbst aneignen können. Das ist mit Abschluss der Grundschule durch die grundlegende Beherrschung der Techniken Lesen und Schreiben erreicht. Ob sie das dann (sinnvoll) nutzen, ist ihre Angelegenheit. Soviel Freiheit muss sein.«

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