Mein Vater besucht mich und redet auf mich ein. Ich verstehe kein Wort und wundere mich über seine merkwürdige Kleidung. Seit wann trägt er denn Frack und Zylinder? Er sieht aus wie ein Zirkusdirektor. Plötzlich springt er auf, rennt durch die Krankenhausflure und wirft mit Pralinenschachteln von Lindt um sich.
Ich liege im Campingbus und habe vergessen, wohin wir in Urlaub fahren wollen. Eine junge Frau mit einer Punkfrisur sitzt neben mir und schmeißt mit Konfetti. Erst glaube ich, sie sei meine Nichte. Nach einer Weile bemerke ich die Verwechslung und zerbreche mir den Kopf darüber, warum wir eine Wildfremde mit in den Urlaub nehmen. Vielleicht ist sie ja eine Anhalterin. Eine ziemlich dreiste Person, denn plötzlich kippt sie das Konfetti eimerweise über mich, bis mein ganzer Körper in einer weichen bunten Papierwolke eingehüllt ist.
Meine Hände sind auf das Doppelte ihres normalen Umfangs angeschwollen. Ich bin wirklich in ein merkwürdiges Krankenhaus geraten. Die Betten stehen in einer Art Hotellobby mit altdeutschen Eichenmöbeln und das Pflegepersonal scheint die meiste Zeit damit beschäftigt zu sein, lila Metallfolie an der Decke zu befestigen. Einige von ihnen sind richtig homophob, stur bezeichnen sie die Liebste als meine »Bekannte« oder nennen sie bestenfalls meine »Freundin«.
Inzwischen weiß ich, dass ich auf einer neurologischen Station der Uniklinik Würzburg liege. Meine letzte wirklich klare Erinnerung ist an das Duschen am Morgen vor der Operation im Krankenhaus Buchen. Die Tage danach sind in einem dunklen Loch verschwunden. Auch die anschließende Zeit auf einer Intensivstation der Uniklinik verschwimmt größtenteils in grauen Nebelschwaden. Ich bekomme nur einzelne Fetzen von meist unerfreulichen Szenen zu fassen, die zudem nur wenig Sinn zu ergeben scheinen.
»Sie waren sehr sehr sehr krank«, teilen mir Ärzt_innen mehrmals im ernsten Tonfall mit. »Sie hatten eine virale Enzephalitis, eine Sepsis und eine allergische Reaktion. Es wird noch Monate dauern, bis Sie wieder richtig auf dem Damm sein werden.«
Mir fällt es schwer, ihnen zu folgen. Denn meinen Fragen nach dem Warum, was bei oder nach der Operation schief gelaufen sei, weichen sie geschickt aus. Stattdessen verschanzen sie sich hinter kryptischen Bemerkungen. Ich solle froh sein, alles so gut überstanden zu haben, gibt man mir zu verstehen. Auch über mein Bein, über den Oberschenkelhalsbruch, der schließlich Ausgangspunkt des ganzen Malheurs gewesen war, wird kaum ein Wort verloren. Sie sind Neurolog_innen und interessieren sich im Grunde genommen nicht für orthopädische Wehwehchen.
Ein Krankengymnast kommt täglich vorbei und übt mit mir Laufen, erst an einem Rollator, später mit Krücken. Er macht mir Mut und behauptet, meine Beweglichkeit werde täglich besser.
Eine Sozialarbeiterin taucht auf, um die anschließende Reha zu besprechen. Meine Forderung nach einer orthopädischen Maßnahme irritiert sie, aber schließlich verspricht sie, sich darum zu kümmern. Ich kenne meine Sozialversicherungsnummer nicht auswendig, auch andere Angaben kann ich mangels Unterlagen nicht machen. Am Ende unterschreibe ich ein beinah leeres Formular, in dem außer Namen, Wohnort und Geburtsdatum kaum etwas eingetragen ist. Hoffentlich habe ich jetzt keine Waschmaschine bestellt.
Ich bin wieder zuhause. Die Sozialarbeiterin hat sich wegen der Reha nicht mehr bei mir gemeldet. Auch der Liebsten gelang es trotz vieler Versuche nicht, sie telefonisch zu erreichen. Am Tag nach meiner Rückkehr liegt das Schreiben einer neurologischen Reha-Klinik im Briefkasten.
In einem Bewertungsportal im Internet lesen wir, die Klinik sei aufgrund der baulichen Gegebenheiten für Patient_innen mit orthopädischen Problemen absolut ungeeignet. Eine Krankenschwester aus dem Bekanntenkreis, die die Klinik kennt, teilt diese Einschätzung. Die Liebste hängt sich erneut ans Telefon und versucht, mit der Krankenkasse eine andere Lösung zu finden. Doch die DAK stellt sich stur, ja man hält sogar eine orthopädische Reha für überflüssig.
Gemeinsam beschließen wir, die Reha erst mal auf Eis zu legen. Auch für die Liebste sind die letzten Wochen enorm nervenaufreibend gewesen. Keine von uns beiden fühlt sich zurzeit in der Lage, mit der Krankenkasse einen Krieg um die geeignete Reha zu führen.