Irgendwann in meinem Leben werde ich vermutlich schon einmal von dem Paragraphen 219a gehört oder gelesen haben. Großen Eindruck kann das allerdings nicht hinterlassen haben. Denn erst als der Klever Student damit begann, Frauenärzt_innen anzuzeigen und das Thema medial groß aufbereitet wurde, kam es auch bei mir an. Bis dahin kannte ich im Zusammenhang mit Abtreibungen nur den §218.
Meine erste Reaktion war pure Verwunderung. Soweit ich wusste, dürfen Ärzt_innen doch sowieso keine Werbung machen. Ganz egal, welcher Fachrichtung sie angehören, ob sie sich nun auf Rücken, Magen oder Ohren spezialisiert haben. Genau aus diesem Grund erscheinen in Lokalzeitungen ja ständig Anzeigen wie : »Die Praxis von Augenärztin Müller ist im August wegen Urlaubs geschlossen.« – »Internist Prof. Dr. Meier gibt die Änderungen seiner Sprechzeiten bekannt.« – »Am 1. Oktober verstärkt Frau Dr. Krause die Praxisgemeinschaft Dres. Hinz und Kunz.«
Nur auf diese Art dürfen Ärzt_innen auf sich und ihre Praxen aufmerksam machen. Wieso also gab es für Gynäkolog_innen ein besonderes Gesetz? Im Internet fand ich schnell die Antwort: 219a stammt aus der Nazizeit und trat im Juni 1933 in Kraft. Der Paragraph gehört somit zu einem ganzen Wust von Gesetzen und Verordnungen, die direkt nach der Machtübernahme der NSDAP erlassen wurden. Wie zum Beispiel auch die Zwangspensionierung jüdischer Beamter.
Jetzt war ich allerdings noch mehr verwundert. Wie konnte es sein, dass im Jahr 2018 bei uns eine Frauenärztin wegen eines Nazi-Gesetzes vor Gericht gezerrt wurde? Auf Wikipedia las ich, dass 219a im Jahre 1974, also zu Zeiten der sozial-liberalen Koalition, schon einmal im Bundestag Thema gewesen war. Anscheinend hatte man damals ein bisschen Kosmetik betrieben.
Ich bin so wütend, wie ich es schon lange nicht mehr wegen eines politischen Vorgangs gewesen bin. Es ist unglaublich, wie die Parteien damit umgehen, welche Diskussionen von gewählten und verantwortlichen Politiker_innen geführt werden. Abtreibung, Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper, Informationsfreiheit sind Debatten, die in diesem Zusammenhang überhaupt nicht geführt werden dürften. Denn diesen Paragraphen dürfte es nicht geben! Er hätte bereits 1949 bei der Gründung der Bundesrepublik aus den Gesetzbüchern verschwinden müssen.
Liebe Politiker_innen, ganz besonders die von der SPD*, die jetzt damit prahlen, einen Kompromiss ausgehandelt zu haben, seid doch verdammt noch mal ehrlich und sagt gleich: »Es war ja nicht alles schlecht unter Hitler. Denkt bloß mal an die Autobahnen und den §219a!«
* Von der CDU habe ich in diesem Zusammenhang noch nie was erwartet und werde es auch in Zukunft wahrscheinlich nicht tun.
Und: Ja, ich weiß, ich bin polemisch. Für mich ist das momentan gerade die einzige Alternative zum Kotzen. – Vernünftige Argumente zum Thema gäbe es u.a. hier: Wie die SPD dafür sorgte, dass die Information über Abtreibungen endgültig illegal wurde