Vor ein paar Jahren noch erschien uns Amazon wie ein Geschenk des Himmels für die Landbevölkerung. Endlich konnten auch wir alles Nötige und Unnötige kaufen und bekamen es sogar noch ins Haus geliefert. Vorbei mit der Verschwendung freier Samstage für Zwangsausflüge in die nächste Großstadt. Nun ließen sich selbst Geburtstagswünsche wie eine pink-gelb-türkis karierte Leggins ganz einfach erfüllen.
Es hat ein paar Jahre gedauert, bis uns die Kehrseite der Medaille bewusst geworden war. Mittlerweile geben wir uns Mühe, einen großen Bogen um Amazon zu machen. Doch ausschließlich in kleinen Fachgeschäften vor Ort einzukaufen, klappt natürlich nicht.
Sockenwolle in Regenbogenfarben oder besondere Bücher sind längst kein Problem mehr. Kleine Einzelhändler_innen haben viel dazu gelernt, was Beratung und Service angeht. Im Gegenzug versuchen wir gerade, uns wieder abzugewöhnen, Dinge spätestens am nächsten Tag in der Hand halten zu wollen.
Bei Elektrogroßgeräten geraten wir allerdings ganz schnell an das Ende unserer finanziellen Möglichkeiten. Als letzten Sommer eine neue Kühl/Gefrierkombi anstand, entschieden wir uns deshalb für das nächst kleinere Übel: den MediaMarkt. Der ist zwar ebenfalls böse, sehr böse sogar. Im Gegensatz zu Amazon will er jedoch nur Gewinn machen und nicht auch noch die Weltherrschaft an sich reißen.
Außerdem betreibt er ganz altmodisch einen stationären Handel vor Ort. Was in unserem Fall bedeutet: Den nächsten MediaMarkt gibt es in der 30 km entfernten Kreisstadt. Erst suchten wir zuhause ganz bequem im Internet ein entsprechendes Gerät aus. Dann fuhren wir hin, bestellten, nahmen noch ein, zwei, drei »Kleinigkeiten« mit und bezahlten. Die Lieferzeit von einer Woche war uns bekannt und störte uns nicht.
Schwierigkeiten gab es erst bei der Lieferung. Unser Haus wurde im Jahr 1848 gebaut. Da waren die Menschen noch etwas kleiner als wir heute. Dementsprechend niedrig sind unsere Decken und Türstöcke. Die diversen Um- und Anbauten in den letzten 170 Jahren haben das Haus auch nicht wirklich auf Elektrogroßgeräte der heutigen Zeit vorbereitet.
Unsere Speisekammer ist noch einmal ungefähr 10 cm niedriger als die Küche. Eine 1,85 m große Kühl/Gefrierkombi dort unterzubringen, bedeutet Maßarbeit. Wir wussten das natürlich aus Erfahrung und hatten deshalb ein »Komfortpaket« für knapp 60 Euro zusätzlich erworben: Lieferung frei Haus, Aufstellung am vorgesehenen Ort und Mitnahme des Altgeräts. Vorsorglich räumten wir nicht nur die Speisekammer komplett aus, sondern schraubten sogar die Deckenlampe ab und hängten die Tür aus. Außerdem verschoben wir ein paar Dinge, die vielleicht den Weg von der Haustür zur Speisekammer ein wenig schwierig hätten machen können. Freie Bahn also für unsere Neuanschaffung.
Schon beim Aussteigen aus ihrem Lieferwagen starrten die beiden jungen Männer skeptisch auf unser Haus. Die drei Stufen vor der Haustür schienen sie bereits als Zumutung zu betrachten. Zunächst amüsiert, dann doch fassungslos beobachteten die Liebste und ich ihre erfolglosen Versuche, die Kühl/Gefrierkombi senkrecht in die Speisekammer zu rammen.
Ziemlich schnell gaben sie auf. »Wie sind Sie nur auf die Idee gekommen, das Gerät da rein stellen zu wollen? Was haben Sie denn bloß ausgemessen? Das sieht man doch auf den ersten Blick, dass das nicht geht!«
Sie sprachen es zwar nicht laut aus, aber ihren Gesichtern, ihrer ganzen Mimik und Gestik war überdeutlich anzusehen, was sie dachten: Zwei ältere Weiber, die zu blöd waren, richtig mit einem Zollstock umzugehen.
Im Gegensatz zu mir blieb die Liebste ganz locker. Als Frau in einer typischen Männerbranche und Vorgesetzte eines ganzen Haufens solcher muskelbepackter Männer, ist sie derartige Situationen gewöhnt. Genau deshalb hatte sie allerdings auch keine Lust, den Dumpfbacken ihren Job zu erklären. Und natürlich wusste sie auch, dass ich kurz davor war, ihnen an die Gurgel zu gehen.
Höflich komplimentierte sie die Beiden samt Altgerät aus dem Haus. Danach stellten wir gemeinsam die neue Kombi dorthin, wohin sie gehörte, machten ein Foto und schickten es per Mail an den MediaMarkt. Eine Reaktion erfolgte darauf nicht, vielleicht ist man ja an Beschwerden dieser Art gewöhnt.
Vorgestern gab unsere Waschmaschine endgültig den Geist auf. Befürchtet hatten wir das schon lange, doch bisher war es uns immer gelungen, sie irgendwie wieder zum Laufen zu bringen. Diesmal half aber nichts, noch nicht mal die Drohungen mit der Schrottpresse, und so suchten wir abends im Internet nach einer neuen Waschmaschine.
»Ich fahr auf dem Weg zur Arbeit kurz beim MediaMarkt vorbei und bestell die Waschmaschine«, sagte die Liebste, bevor sie morgens das Haus verließ. Gegen Mittag kam per Threema endlich eine Nachricht: »Maschine gekauft und bezahlt. Lieferung erst nächsten Mittwoch! Mehr heute Abend.« Mehrere Wut Emojis ließen ahnen, dass es wohl nicht ganz so reibungslos wie im Sommer bei der Kühl/Gefrierkombi gelaufen war.
Erst hatte eine Verkäuferin versucht, der Liebsten eine andere Waschmaschine aufzuschwatzen. Eine von denen, die im Laden herumstanden und anscheinend weg mussten. Da gäbe es doch welche aus dem selben Preissegment. Dass es zunächst um Waschprogramme, Wasserverbrauch und Ähnliches und erst in zweiter Linie um den Preis ging, schien sie nicht kapieren zu wollen.
Der Begriff »auf Lager« scheint relativ zu sein, wieder mal was Neues gelernt. Im Fall der von uns ausgesuchten Maschine bedeutete er »auf Lager in den Niederlanden«. Und die genannte Lieferfrist von »2–4 Tagen« begann auch erst, wenn aus dem »Lager Niederlande« das Lager »MediaMarkt Mosbach« geworden war.
Okay, für die irreführenden Angaben im Internet konnte die Verkäuferin nun wirklich nichts. Auch nicht ihre beiden Kollegen, die sie im Verlauf des Gesprächs zu Hilfe holte. In diesem Fall zeigte die Liebste wirklich Verständnis. Nicht sicher war sie sich aber, ob die Software des MediaMarkts tatsächlich so unglaublich kompliziert ist. Noch weniger verstand sie, weshalb Barzahlung ein Problem sein sollte. Endgültig auf die Palme brachten sie dann die mehrfache Wiederholung der Sätze: »Das machen wir immer so.« – »Das haben wir noch nie anders gemacht.«
Als die Verkäuferin ihre Daten abfragen wollte, meinte die Liebste erstaunt: »Muss doch in ihrem Computer sein!« Erst nachdem alles erneut eingegeben war, tauchten wir plötzlich als Kund_innen auf. Am Ende hatte das »kurz vorbeifahren« geschlagene 90 Minuten gedauert. So lange brauchte es, bis die Waschmaschine endlich bestellt, bezahlt und ein Liefertermin vereinbart worden war.
Das Angebot des Komfortpakets lehnte die Liebste entnervt ab. Eigentlich hätten wir ja noch was von der letzten Lieferung gut. Doch aus Zeitgründen verzichtete sie darauf, dieses Thema anzuschneiden. Genauso wie sie sich die Bemerkung verkniff, wir müssten schließlich irgendwie unser Falschgeld unter die Leute bringen.
Unser uralter Wäschetrockner siecht schon länger dahin und wird sich in absehbarer Zeit wohl ein Beispiel an der Waschmaschine nehmen. Wenigstens lässt sein Keuchen, Pfeifen und Knarzen das Schlimmste befürchten. »Wird online bestellt, wenn’s soweit ist!« teilte mir die Liebste gestern Abend kurz vorm Einschlafen mit. »Oder duuuuu gehst in den MediaMarkt. Mich bringen da jedenfalls keine zehn Pferde mehr hin.«