Heiter und verliebt, frisch in eine gemeinsame Wohnung gezogen, inspirierte mich eine Fernsehsendung über abgestorbene Zehen und schwarze Lungen zu dem Vorhaben, demnächst mit dem Rauchen aufzuhören. Und da wir uns ja vorgenommen hatten, ab sofort alles, aber auch wirklich alles gemeinsam zu tun, galt dieser Entschluss natürlich auch für die Liebste. Ich kam gar nicht auf die Idee, sie könnte vielleicht anderer Meinung sein.
Wir nahmen uns eine Woche Vorbereitungszeit, in der wir zum Rauchen auf die Terrasse gingen und die Wohnung in eine rauchfreie Zone verwandelten. Wir stopften sämtliche Decken, Kissen und Gardinen in die Waschmaschine, sprühten Matratzen und Couch mit Polsterreiniger ein und putzten wie die Wilden.
Schließlich war der große Tag, es war ein Sonntag, gekommen. Kurz vor Mitternacht rauchten wir jede die letzte Zigarette. Zwei weitere Zigaretten drückten wir platt und rahmten sie hinter Glas ein. Sozusagen als stete Mahnung an unser Jahrzehnte währendes ungesundes Leben. Um Mitternacht entsorgten wir den letzten Aschenbecher und ein wenig Resttabak in der Mülltonne. Unser neues Leben konnte beginnen.
Am nächsten Morgen weigerte sich die Liebste, aufzustehen. Mir fiel das zunächst nicht auf, da sie immer länger als ich schläft. Erst gegen Mittag konnte ich sie mit einer Tasse Kaffee aus dem Bett locken. Sie stand auf, ging ins Bad, zog sich an und … und legte sich auf die Couch, wo sie weiter schlief. Als ich sie am Nachmittag aufweckte, sah sie mich mürrisch an und meinte: »Lass mich schlafen.«
Am frühen Abend wagte das Telefon, zu klingeln und ich erlebte die Liebste zum ersten Mal richtig aggressiv. Sie schmiss mit Sofakissen in Richtung Telefon und schrie: »Verdammt noch mal, ich will meine Ruhe haben!«
Am späten Abend hatte ich endlich begriffen: wenn ich wollte, dass die Liebste sich je noch einmal von dieser Couch erhob und mich anlächelte, musste ich eine Entscheidung treffen. Ich holte die beiden zerdrückten Zigaretten aus dem Rahmen und fuhr dann an eine Tankstelle, um Nachschub zu besorgen. Drei Tage später rauchten wir wieder wie eh und je.
Dennoch war das Projekt »Wir hören mit dem Rauchen auf!« damit nicht gestorben. Wenigstens nicht für mich. Alle paar Monate nahm ich einen neuen Anlauf. Unsere Beziehung war mittlerweile aus der euphorischen Verliebtheitsphase im Alltag angekommen. »Mach, was du willst«, sagte mir nun die Liebste, wenn ich anfing, darüber zu reden. »Aber ich höre nicht auf! Wenigstens nicht im Moment. Wenigstens nicht ganz.«
Ich erkundigte mich bei Freundinnen, die es geschafft hatten. Wie hatten sie es gemacht?
»Frag besser nicht« stöhnte die eine. »Selbst noch nach zehn Jahren denke ich morgens als erstes an eine Zigarette. Wenn ich damals nicht schwanger geworden wäre …«
Eine andere hört schon seit Jahren mit dem Rauchen auf. Alle drei Monate wieder. Ein Verwandter versuchte es mit Nikotinpflastern. Als wir ihn im Hochsommer zufällig trafen, hatte er an beiden Oberarmen je eines der Pflaster und … eine Kippe im Mund. Später berichtete er, Nikotinkaugummis hätten ein ähnliches Ergebnis gebracht. Eine Bekannte zeigte mit dem Finger erst auf sich und dann auf eine Tüte Kartoffelchips. »Jede Woche Nichtrauchen bringt ein Kilo mehr« erklärte sie. »Sobald ich eine Tonne wiege, fange ich erneut mit dem Rauchen an.«
Wir versuchten, uns selbst auszutricksen. Verboten uns, in der Wohnung zu rauchen. Das ging so lange gut, bis der Winter kam. Nicht mehr im Auto rauchen, auch das funktionierte eine Weile. Bis wir in den ersten Stau gerieten. Nach dem Umzug nach Stoibisch erklärte ich mein Arbeitszimmer zur rauchfreien Zone. So lange, bis ich einige Tage hintereinander ununterbrochen am PC saß.
Draußen in der Welt wurde derweil gegen das Rauchen immer mehr Stimmung gemacht. »Rauchen ist ungesund!« behauptete unsere Gesundheitsministerin und ließ fürchterliche Nachrichten auf die Tabak- und Zigarettenpackungen drucken. Ihr Kollege vom Finanzministerium war da ganz anderer Meinung. »Bitte, bitte rauchen Sie weiter«, flehte er, denn schließlich verdient der Staat mit der Tabaksteuer ca. 11 Milliarden Euro im Jahr.
»Wäre das nicht ein Grund, um mit dem Rauchen aufzuhören?« fragte ich die Liebste. »Zahlen wir nicht schon genug Steuern?«
Sie wollte davon nichts hören und regte sich stattdessen über die ihrer Meinung nach viel zu niedrigen Steuern auf alkoholische Getränke auf. Als die Medien begannen, über ein mögliches Rauchverbot in Kneipen zu berichten, wurde sie sauer. »So lange in diesem Staat gesoffen werden darf, verlange ich, rauchen zu dürfen!« erklärte sie.
Spätestens ab hier verwandelte sich langsam aber allmählich das Thema »Gesundheit und eigenes Wohlbefinden« in Prinzipienreiterei. »Wer raucht, schadet immer auch seiner Umgebung« meinte ein ehemaliger Raucher uns über das Passivrauchen aufklären zu müssen. »Wer trinkt, schadet nur seiner eigenen Leber.«
»So?« konterte die Liebste und warf einen anzüglichen Blick auf den Bierkrug in seiner Hand. »Wenn du auf dem Nachhauseweg einen harmlosen Fußgänger tot fährst, werden dessen Angehörigen bestimmt froh darüber sein, dass er nicht an den Folgen des Passivrauchens gestorben ist.«
Als auf den Bahnhöfen das Rauchen verboten wurde, stieg ein uns bekannter Pendler von der Bahn auf den eigenen Wagen um. »Statt den Bahnhof zu verqualmen, verpestet er nun mit Autoabgasen die Luft«, kommentierte die Liebste.
An ihrem Arbeitsplatz war wie an vielen anderen das Rauchen in den Büros bereits seit längerem nicht mehr gestattet. Doch nach einem Umzug der Firma wurde es richtig ungemütlich. Die RaucherInnen wurden hinters Haus verbannt. Rauchende MitarbeiterInnen unter dem Dach der Eingangstür seien dem Image der Firma abträglich, meinte der Chef.
Auch wenn ich die Liebste bedauerte, innerlich gab ich ihm Recht. Sogar bei mir als Raucherin hat die Kampagne »RaucherInnen sind unsozial« längst Spuren hinterlassen. Immer wenn ich alte Filme sehe, in denen noch hemmungslos gequalmt wird, fällt mir das unangenehm auf. Und seit in den Kneipen nicht mehr geraucht werden darf, geht es mir am Morgen nach einer langen Nacht wesentlich besser als früher.
Zufällig sehe ich einen Fernsehbeitrag über holländische Coffeeshops. Auch dort darf nicht mehr geraucht werden: Nikotin. Weshalb die Joints neuerdings nicht mehr ganz so gut schmecken sollen. Und ich erinnere mich an einen Artikel, den ich vor vielen Jahren einmal gelesen habe. Dort war eine Autorin äußerst erbost, weil alle Süchtigen in diesem Land als krank gelten und viel Geld für ihre jeweiligen Therapien ausgegeben wird. Sie nannte als Beispiel die Alkoholabhängigen, an deren Sucht der Staat zunächst ebenso gut verdient wie an uns RaucherInnen. Nur wird uns keine von der Krankenkasse bezahlte Therapie zugestanden. Uns sagt man einfach: »Hör doch auf!«