Ich bin lesbisch, ich bin Feministin, deshalb habe ich bis gestern ja gedacht, ich sei eine feministische Lesbe/lesbische Feministin. Dann habe ich »Lesben in der Queer-Politik: ohne Zukunft« von Sheila Jeffreys gelesen. Originaltitel: »Unpacking Queer Politics, A Lesbian Feminist Perspective«.
Jetzt habe ich eine Identitätskrise. Lesbisch bin ich zwar immer noch, Feministin auch, wenigstens nach meiner Definition, aber für den erlauchten Kreis lesbischer Feministinnen reicht’s wohl nicht mehr. Um zu ihnen zu gehören, müsste ich u.a. Pornografie im Allgemeinen und (viele) schwule Sexualpraktiken im Besonderen als die Wurzel allen Übels ansehen. Meint die Autorin, wenn ich sie richtig verstehe. Es ist schon lange her, dass ich mir von einem Buchtitel so viel versprochen hatte, meine Erwartungen derart enttäuscht wurden und ich mich am Ende über die Zeit- und Geldverschwendung richtig geärgert habe.
Über das Wort »queer« bin ich zum ersten Mal im Zusammenhang mit Judith Butler gestoßen. Dieser verdanke ich – all die Gender Fachkräfte mögen mir verzeihen – meine langen Haare, meine Stöckelschuhe und den unbefangenen Gebrauch von Mascara. Die Beschäftigung mit ihren Theorien fielen in eine Zeit, in der ich mich in einer Umbruchphase befand und gerade dabei war zu erkennen, dass »Was ein Mann kann, kann eine Frau auch« nicht gleichbedeutend ist mit »Ich muss alles können, was auch Männer können«, sondern nur heißt: Wenn ich will, kann ich lernen, Bagger zu fahren. Und wenn ich nicht will, kann ich das auch bleiben lassen.
Es war für mich eine Zeit der Befreiung, in vielerlei Hinsicht, ganz besonders aber von dem Druck, den ich mir jahrelang selbst gemacht habe. Als ich glaubte, einem Mann beweisen müssen, dass ich einen Nagel in die Wand einschlagen kann. Vor lauter Angst, sonst als dummes Weibchen abgestempelt zu werden und sämtliche sexistische Vorurteile gegenüber Frauen zu bestätigen. Erst in der Beziehung mit der Liebsten habe ich diese Furcht allmählich verloren. Sie kann mit der Nähmaschine sowohl ganz tolle Sachen nähen als auch den Motor der Nähmaschine in sämtliche Einzelteile zerlegen und später wieder zusammenzubauen. Ich habe ihr beigebracht, mit einem Computer umzugehen. Und keine von uns käme auf die Idee, die Fähigkeiten und Interessen der anderen als »typisch Frau« abzutun oder als »typisch Mann« aufzuwerten.
Auch mein Kleidungsstil und mein Aussehen veränderten sich damals, natürlich nicht abrupt von heute auf morgen, aber allmählich. Da sich nun kein Mann mehr einbilden konnte, die Schminke sei ein Signal für ihn, was ja gleichbedeutend mit einem Verrat an den Prinzipien der Frauenbewegung gewesen wäre, fing ich an, mit viel Spaß zu experimentieren – und vorsichtige Kritik von langjährigen Freundinnen mit Judith Butler Zitaten zu kontern.
Trotzdem lag mir das queer eigentlich von Anfang an quer im Magen. Es ist nicht mein Wort und es entspricht nicht meiner Lebenseinstellung. Ich würde mich selbst nie als queer, sondern immer als lesbisch (und als feministisch) bezeichnen. Ein Sammelbegriff für sämtliche nicht-heterosexuelle Menschen, wie es die Liebste mal ausdrückte. Lesbisch, schwul, transgender/transsexuell, bi, alle in einem Topf, Deckel drauf und schon steht auf dem Etikett »Sexuelle Abnormitäten«, wenn es nach dem Papst und anderen christlichen Fundis ginge, oder »Gleichheit durch eine gemeinsame Identität am Rand der Gesellschaft«, wenn die Bezeichnung politisch korrekt sein soll.
Wenn ich anfangs geschrieben habe, wie sehr mich dieses Buch verärgert hat, dann ist diese Aussage nicht ganz richtig. Ungefähr das erste Drittel beschäftigt sich genau mit dem Thema, das ich nach Titel und Klappentext erwartet und weswegen ich es gekauft hatte.
»Lesbischer Feminismus entstand aus der feministischen Überzeugung, dass Lesben Frauen sind, und die Interessen von Frauen in gemischten, politischen Zusammenhängen nicht nur regelmäßig übergangen werden, sondern sogar direkt entgegengesetzt sein können. Diese Überzeugung ist in der Queer-Politik verloren gegangen.«
[…]
»Obwohl er [der Begriff queer] ja eigentlich alle einschließen sollte, schien er speziell Lesben und lesbische Feministinnen auszuschließen. Lesben hatten die Erfahrung gemacht, dass allgemeingültige Worte für männliche und weibliche Homosexualität sehr schnell nur noch Männer bezeichnen. Schwule Autoren haben ganze Bücher über »homosexuelle Geschichte« geschrieben, in denen Lesben nicht vorkommen.«
[…]
»Zwanzig Jahren hatten lesbische Feministinnen hart darum gekämpft, damit der von ihnen gewählte Begriff, der ihre spezifische und so andere Geschichte, Kultur, Praxis und Politik bezeichnen sollte, in politischen Zusammenhängen benutzt wurde. […] Der Kampf um den Begriff Lesbe war kaum gewonnen, als die Fahnen sich drehten und Lesben erneut unter »queer« begraben wurden.«
Erfahrungen bzw. Mechanismen, die gerade heute mal wieder brandaktuell sind. Wenn SpOn und Focus und all die anderen, die sich dem sexistischen Qualitätsjournalismus verschrieben haben, die Vorgänge in Serbien, das Kuschen der Regierung vor dem faschistischen Mob, auf Schlagzeilen wie »Verbot von Schwulen-Umzug/Schwulen-Parade« reduzieren.
Eine Huldigung an die männliche Dominanz. In dem Moment, in dem sich Frauen in männliche Zusammenhänge begeben, egal, ob hetero oder schwul, gehen sie unter. Manchmal nur medial, manchmal ganz und gar. Vorgänge und Mechanismen, die in dem Buch an Beispielen beschrieben und mit Textauszügen und vielen Verweisen belegt werden. Bis dahin stimme ich der Autorin zu: Queere Politik macht Lesben unsichtbar und festigt altbekannte Strukturen »Frauen engagieren sich für die Interessen von Männern«.
Ungefähr ab Seite 60 begann ich mit dem Kopf zu schütteln, irgendwann standen mir sämtliche Haare zu Berge und ich heulte den zwanzig Euro nach, die ich für das Buch ausgeben habe.
»Wer, in welchem Körper auch immer, männliche Dominanz und weibliche Unterwerfung auslebt, Drag, Butch/Femme-Rollenspiel, Transvestismus oder Transsexualismus ausübt und aufgrund dessen in die Queer-Politik miteinbezogen wird, übt Verhaltensweisen aus, die es in Zukunft nicht mehr gegeben wird« – Mit Zukunft gemeint ist wohl: nach der Machtübernahme der feministischen Lesben, so wie die Autorin sie versteht.
Nun bekommen alle ihr Fett ab. Männliche Heteros sowieso; Schwule, weil sie ihre Art, Sex auszuleben, alle anderen Menschen aufdrängen wollen und darüber hinaus noch auf Sex in der Öffentlichkeit bestehen; Hausfrauen, SM Lesben, Butch und Femmes, weil sie männliche Rituale imitieren; Transsexuelle, weil sie sich operieren lassen; Bisexuelle, weil sie sich nicht entscheiden können oder so ähnlich …
»Leihmutterschaft sollte aus lesbisch-feministischer Sicht nicht möglich sein. Sie steht in besonderen Maß für die Ausbeutung von Frauen. Während die homosexuelle Ehe einfach eine repressive Institution unterstützt, stellt eine Leihmutterschaft durch Homosexuelle [Schwule] direkte Unterdrückung von Frauen dar.«
Wenn ich es nicht überlesen habe, wird die Samenspende für Lesben mit keinem Wort erwähnt. Natürlich lässt sich das nicht wirklich vergleichen. Es besteht ein riesiger Unterschied zwischen einer Leihmutterschaft, die neun Monate andauert, und einer Samenspende, die …, keine Ahnung, wie viel Zeit das in Anspruch nimmt. Und dennoch beruht beides auf dem Kinderwunsch eines gleichgeschlechtlichen Paares. So einfach kann frau es sich dann wirklich nicht machen.
Nein, hilfreich war dieses Buch für meine Probleme, die ich mit allem, was queer beinhaltet, mit so manchen Schwulen, mit dümmlichen Pressemenschen und mit Frauen, die nicht begreifen, dass es besonders in der queeren Welt viele schwule Maskulisten gibt, ganz sicher nicht. In einer Welt, wie sie sich Sheila Jeffreys vorstellt, will ich nicht leben.
Lesben in der Queer-Politik: ohne Zukunft
ISBN-10: 3842330766