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Sonntags suchen Landeier nach der flächendeckenden Notdienstapotheke

Im Jahr 2017 schaffte es das Örtchen Hüffenhard, von uns aus ungefähr 40 km entfernt, aber ebenfalls zum Neckar-Odenwald-Kreis gehörend, bundesweit in die Medien. Eine Internetversandapotheke hatte dort ein Experiment gestartet und einen „Apothekenautomaten“ aufgestellt.

Die Herren und Damen der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg wälzten sich erst brüllend auf dem Fußboden, sprangen dann wie Rumpelstilzchen durch die Gegend und zogen anschließend vor Gericht. Dort glaubte man ihnen aufs Wort, dass die flächendeckende Versorgung im ländlichen Raum bestens funktioniere und ein „Apothekenautomat“ überflüssig wie ein Kropf sei.

Ich selbst kann mir kein Urteil darüber erlauben, wie weit die Behauptung stimmt, Online Apotheken und nun auch dieser „Apothekenautomat“ stellen eine potentielle Gefahr für Patient:innen dar, weil die fachkundige Beratung wie in einer stationären Apotheke nicht möglich ist.

Was ich aber weiß, dieser Spruch von der flächendeckenden Versorgung im ländlichen Raum ist bestenfalls Wunschdenken aus derselben Abteilung wie Jens Spahns derzeitiges Mantra „In Sachen Coronavirus sind wir gut aufgestellt!“. Es könnte sich natürlich auch um Unwissen oder Desinteresse handeln. Im schlimmsten Fall läuft es einfach auf eine dreiste Lüge wider besseres Wissen hinaus.

Im Juni letzten Jahres waren wir an einem Wochenende leider auf eine Notdienstapotheke angewiesen. Die Suchfunktion der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg zeigte uns fünf Ergebnisse an: Apotheken zwischen 20 und 50 Kilometern von uns entfernt.

„Das ist doch die Gelegenheit, mal bei der Landesapothekerkammer nachzufragen, was eigentlich genau mit flächendeckender Versorgung im ländlichen Raum gemeint ist“, sagte die Liebste. Ich fand das eine wirklich gute Idee, machte einen Screenshot der Suchergebnisse und verschickte ihn zusammen mit unsere Frage per Mail.

Ein Herr Uwe Kriessler, Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt) und stellvertretender Geschäftsführer, antwortete mir umgehend:

„… nach Google Maps beträgt die Entfernung über die L524 14,7 km und ist mit dem PKW in 12 Minuten erreichbar …“

Nun denn, wenn Google Maps das meint.

Ich vermute jetzt mal, Herr K. hat nur wenig bis keine Ahnung vom ländlichen Raum. Zumindest nicht vom richtig ländlich ländlichen Raum wie hier bei uns. Natürlich war es auch ein bisschen mein Fehler, ich hätte nicht nur den Wohnort, sondern die genaue Adresse nennen müssen.

Unsere Gemeinde besteht wie viele andere auch aus einem Hauptort und mehreren sogenannten Ortsteilen. Damit sind umliegende Dörfer gemeint, die im Rahmen irgendeiner Reform eingemeindet wurden. Von uns bis zu einem Dorf am anderen Ende der Gesamtgemeinde beträgt die Entfernung beispielsweise 16 Kilometer (Luftlinie). Trotzdem haben wir dieselbe Postleitzahl. Nebenbei bemerkt: Ein Umstand, der bei Paketzustellern fortwährend großes Chaos anrichtet.

„14,7 km in 12 Minuten auf der L524“ + 3,1 km um auf die L524 zu kommen. Da sind wir dann schon mal bei 17,8 km.

Google Maps meint, diese Strecke würde ich zu Fuß in 3 Stunden und 40 Minuten schaffen. Mit dem Fahrrad bräuchte ich 1 Stunde und 2 Minuten. Für die öffentlichen Verkehrsmittel gibt es komischerweise keine Zeitangabe, sondern stattdessen ein rotes Warndreieck „Keine Route gefunden!“

Herrje und Jemine! Google, das nach Meinung vieler, die sich mit Datenschutz beschäftigen, weltweit alles von allem über alle weiß, kapituliert vor dem ÖPNV bei uns. Einen besseren Beweis für die katastrophalen Zustände gibt es wahrscheinlich kaum noch.

Spontan würde ich jetzt sagen, mit einem klitzekleinen Umweg beispielsweise über Mannheim oder Heidelberg könnte es vielleicht auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln klappen. Bei Gelegenheit überprüfe ich das mal. Selbstverständlich nur theoretisch und nicht in der Praxis.

Bleibt noch das Auto, für das 17 Minuten veranschlagt wurde.

Die Zeitangabe von 3 Stunden und 40 Minuten zu Fuß könnte ungefähr hinkommen. Vorausgesetzt natürlich der Mensch ist gesund und einigermaßen in Übung. Vor meiner Krankheit hätte ich es wahrscheinlich geschafft, heute aber in dieser Zeit bestimmt noch nicht einmal ein Drittel der Strecke zurückgelegt. Außerdem darf auch der Rückweg nicht vergessen werden. Somit wären wir am Wochenende 7 Stunden und 10 Minuten zu Fuß für ein Medikament aus der Notdienstapotheke unterwegs.

Wie es sich mit der Stunde und 2 Minuten für das Fahrrad verhält, kann ich nicht sagen. Ich bin schon seit Jahren nicht mehr auf einem Rad gesessen, weil eines Tages meine Angst endgültig über mein Umweltbewusstsein gesiegt hat. Doch auch hier: Hin und zurück sind es bereits 2 Stunden und 4 Minuten.

Mit dem Auto brauchen wir 17 Minuten. Ich sage es mal so: Ein fiktiver 18jähriger aus betuchtem Hause, der frisch seinen Führerschein gemacht hat, in der Nacht von Samstag auf Sonntag den Schlüssel für Papas Porsche klaut und seine besoffenen Kumpels zu einer Spritzfahrt einlädt, schafft es wahrscheinlich sogar in 15 Minuten.

Die Liebste und ich sind keine 18 mehr, sondern bereits Omas. Wir haben unsere Führerscheine vor Jahrzehnten gemacht, unser Auto ist kein Porsche und Freud:innen, die sich erst die Kante geben und dann von uns beeindruckt werden wollen, haben wir glücklicherweise auch nicht. Deshalb brauchen wir je nach Jahres- und Tageszeit und Wetterverhältnissen 25 bis 40 Minuten. Ungefähr wenigstens.

Bei guten Wetter in der Erntezeit müssten wir jeden Kilometer mindestens eine landwirtschaftliche Maschine überholen. Ebenfalls bei gutem Wetter und an einem Sonntag kämen noch zwei, drei, vier Motorradkolonnen dazu. Bei Dämmerung oder bereits in der Dunkelheit ist streckenweise Tempo 30 angesagt. Wildschweinrotten, Rehe, Hirsche, Füchse sind nämlich der Meinung, dass in den bewaldeten Abschnitten die Kreis- und Landstraßen ihnen gehören.  

Diese Aufzählung könnte um viele weitere Punkte ergänzt werden, mir reicht’s jetzt aber. Die flächendeckende Versorgung im ländlichen Raum der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg bedeutet im unserem Fall:

35,6 km und 50 – 80 Minuten für ein Medikament am Wochenende aus der Notdienstapotheke.  

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