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Urlaub beim Reichsbürger oder Ein Reichsbürger in unserer Küche

Urlaub an der See. Die Unterkunft hatten wir nach langem Suchen über eine der vielen Hundeseiten im Internet gefunden. Laut Beschreibung schien sie exakt unseren Vorstellungen zu entsprechen. Trotzdem waren wir überrascht, als sie sich in der Realität genauso schön wie auf den Fotos entpuppte. Selbstverständlich waren wir davon ausgegangen, bei dem einen oder anderen Bild sei mit Photoshop ein wenig nachgeholfen worden. Der Vermieter, Typ Ephraim Langstrumpf, verhielt sich uns gegenüber distanziert höflich-freundlich. Eine Art von Benehmen, das wir uns von fremden Menschen eigentlich immer wünschen, aber häufig nicht erleben.

Kurzum, wir waren zufrieden und glücklich und beschlossen schon am ersten Abend, dort auch den nächsten Urlaub zu verbringen. Die Flagge, die mitten auf dem Gelände an einem hohen Fahnenmast hing, kannten wir nicht, störte uns aber auch nicht. Schließlich hängen wir selbst manchmal eine Regenbogenfahne auf oder winken beim badisch-bayrischen Grenzfest mit gelb-roten Papierfähnchen. Eher zufällig betrachteten wir sie einmal genauer und vermuteten, es könne sich vielleicht um die Fahne des norddeutschen Bundeslandes handeln.

Wir verbrachten wirklich schöne Urlaubstage, bis … tja, bis uns ein Bekannter darüber aufklärte, von wem wir die Unterkunft gemietet hatten und welche Gesinnung die Fahne repräsentierte. Von Reichsbürgern hatten wir zwar vorher schon mal gehört, sie allerdings für harmlose Spinner gehalten. Lange Recherchen im Internet belehrten uns eines Schlechteren.

Bemerkungen des Vermieters, zum Beispiel über die Kurtaxe oder das Finanzamt, waren uns zwar ein wenig übertrieben, aber trotzdem noch normal vorgekommen. Welche Menschen beschweren sich denn nicht mal über die Bürokratie in unserem Land oder die Gier des Finanzamts? Mit unserem neuen Wissen über Reichsbürger verwandelten sich auf einmal die vermeintlich harmlosen Sprüche in Drohungen mit einem gefährlichen Unterton.

Obwohl sich an den äußeren Bedingungen nichts geändert hatte, fühlten wir uns schlagartig unwohl und wollten eigentlich nur noch weg. Ganz besonders, nachdem wir auch noch erfahren hatten, dass man erst ein paar Wochen zuvor auf dem Nachbargrundstück, wo dieselbe Fahne hing, ein Munitionslager inclusive eines Panzers der Wehrmacht gefunden hatte.

Nach diesem Urlaub beschäftigten wir uns lange mit der Frage: Wie können wir in Zukunft verhindern, noch einmal bei einem Reichsbürger oder vielleicht einer Nazifamilie u.ä. zu landen? Wo es sich doch schon als ziemlich schwierig herausgestellt hatte, mit einen großen und einem kleinen Hund überhaupt eine geeignete und von uns bezahlbare Unterkunft zu finden. Deshalb lautete irgendwann die äußerst unbefriedigende Erkenntnis: Wahrscheinlich gar nicht.

Wenn die Angebote im Internet und den Prospekten nicht mit eindeutigen Sprüchen oder Symbolen versehen sind, woher sollen wir dann wissen, ob es sich bei den jeweiligen Vermieter:innen um Maoist:innen, fundamentale Christ:innen, Aliens oder Reichsbürger:innen handelt?

Zwei Jahre später, im heißen Sommer 2018, dachten wir nur noch selten an diesen Urlaub an der See. In der Zwischenzeit war viel passiert, auch durch meine Krankheit hatten sich unsere Prioritäten ziemlich verschoben. Nur manchmal, wenn in den Medien wieder einmal über Reichsbürger und ihre Ideologie berichtet wurde, kam kurz die Erinnerung zurück.

Einige Tage nach einem heftigen Unwetter saßen wir plötzlich in der Scheiße. Dieser Satz kann jetzt tatsächlich (fast) wortwörtlich genommen werden. Erst gluckerte es leise, dann immer lauter aus dem Abfluss des Waschbeckens. Das Wasser in der Küchenspüle lief von Mal zu Mal merklich langsamer ab. Und irgendwann stand in der Badewanne Wasser, wenn die Klospülung betätigt wurde. Da war es dann an der Zeit, unseren Vermieter zu Hilfe zu holen.

(Und hier ein kleiner, aber nötiger Einschub: Im Gegensatz zu allem, was man allgemein so über Vermieter liest und hört, unser Vermieter ist ein sehr freundlicher und jederzeit hilfsbereiter Mensch, der bei allen Schwierigkeiten in Haus und Hof sofort zur Stelle ist und sich um Lösungen bemüht. Nach beinah vierzehn Jahren musste das jetzt einfach mal gesagt werden!) 

Unser Haus ist sehr alt, es wurde im Jahr der Badischen Revolution 1848 von einem Franz gebaut. Die Abflussrohre sind zwar neueren Datums, wenigstens ein paar Jährchen, dafür verlaufen sie aber ohne jedes System kreuz und quer, neben- und übereinander. Deshalb gibt es immer wieder mal Probleme, so schlimm wie diesmal war es aber noch nie gewesen. Denn als die Liebste unseren Vermieter informieren wollte, fand sie ihn auf einem leicht abschüssigen Hang an der Grenze zu einem Nachbargrundstück, wo er gerade Scheiße in Müllsäcke schaufelte. Die Wassermassen des Unwetters hatten in der völlig ausgetrockneten Erde nicht versickern können und irgendwann die Abflussrohre überfordert. Vermutlich war mindestens eines der Rohre geplatzt und an einer anderen Stelle musste es eine gewaltige Verstopfung geben.

Als er von dem Rückfluss in die Badewanne und dem Gluckern aus der Spüle erfuhr, stellte unser Vermieter die Schaufelei erst einmal ein und holte die Rohrreinigungsfirma zu Hilfe. Die Rohrreingungsfirma und nicht eine, denn wir leben schließlich auf dem äußerst ländlichen Land (ca. 40 Einwohner:innen kommen auf einen Quadratkilometer). Hier ist ein- und dieselbe Firma für alle Abflussrohre im Umkreis von geschätzten 50 Kilometern zuständig.

Nicht lange danach stand auch schon ein kleiner LKW der Firma im Hof vor unserer Haustür und ein Herr in blauer Latzhose unternahm erst mal eine Ortsbegehung. Er stellte fest: „Das ist ja ziemlich kompliziert.“ Denn die Schwierigkeiten begannen schon einmal damit, dass der LKW vor dem Haus stand, das teils fest im Wagen verankerte Equipment aber hinter dem Haus gebraucht wurde.

Weil nun sowohl die Vordertür als auch die Hintertür sperrangelweit offenstehen mussten, sperrten wir erst einmal die Hunde im oberen Stockwerk weg. Danach sahen die Liebste und ich mit immer größeren Unbehagen dabei zu, wie der Latzhosenmensch alle paar Minuten von vorne nach hinten und wieder zurück durch unser Haus marschierte. Um ein Kabel zu ziehen oder ein Gerät zu holen oder einen Schalter zu drücken. Dass er sich dabei gründlich umsah, verwundert wahrscheinlich nicht. Einmal verirrte er sich sogar in die Küche, ein anderes Mal erwischte ich ihn auf der zweiten Treppenstufe, von wo aus er die Fotogalerie an der Wand nach oben betrachtete. Seine ständigen Aufenthalte im Bad ergaben sich zwangsläufig durch seine Aufgabe und wir konnten ihm schlecht verbieten, sich die Postkarten auf den Fliesen anzusehen.

„Ich sag Ihnen jetzt mal eins, meistens sind ja die Frauen für diesen Ärger verantwortlich, weil sie einfach ihre Binden ins Klo schmeißen. Hehehehe“, war nur eine der vielen Weisheiten, mit denen er fast ununterbrochen unseren Vermieter und uns volllaberte. Nachdem er zuerst den Efeuwurzeln und dann einem verschobenen Stück Rohr die Schuld an dem Desaster gegeben hatte, fand er tatsächlich ein kleines Stück Plastik, das seiner Meinung nach nur von einer Damenbinde stammen konnte. Die Liebste und ich verkniffen uns nur mit Mühe den Hinweis, dass wir längst zu alt für Binden und noch zu jung für Inkontinenzartikel sind.

Stunden später, nachdem er seinen Krempel wieder in den LKW geräumt hatte, setzte er sich zusammen mit unserem Vermieter an den Gartentisch und begann einen Vordruck mit seinen einzelnen Arbeitsschritten auszufüllen. Die Liebste bot ihnen Kaffee an, schließlich will man ja höflich sein, und wir setzten uns dazu. Er informierte unseren Vermieter, eigentlich müsse man das ganze Gelände aufbaggern, um herauszufinden, wo welche Rohre wohin verliefen. Sonst müsse er sicher in einem halben Jahr wiederkommen.

Wie und warum es zum weiteren Gesprächsverlauf kam, kann ich nicht mehr nachvollziehen. Eigentlich warteten wir nur darauf, dass er mit seinem Formular endlich zum Ende kam, seinen Kaffee austrank und sich vom Acker machte. Plötzlich erzählte er davon, dass die Bundesrepublik Deutschland ja gar nicht existiere, sondern eine GmbH sei und wir deren Angestellte. Deshalb hätten wir ja auch keinen Pass, sondern einen Personalausweis. Bei mir schrillten sämtliche Alarmglocken. Ich fragte ihn direkt, ob er ein Reichsbürger sei. Das gab er offen zu und hielt nicht mit seinem Erstaunen hinter dem Berg, weil ich das erkannt hatte. Unser Vermieter, der wirklich sehr unpolitisch ist, saß staunend daneben und sagte immer wieder Dinge wie: „Davon hat unsereins ja gar keine Ahnung. Ist das wirklich so? Davon habe ich ja noch nie gehört.“

Einmal beging ich den Fehler, mit ihm zu diskutieren. Als er davon sprach, wir hätten ja gar keinen Friedensvertrag und befänden uns immer noch im Kriegszustand. Zwischendurch ließ er mehrmals unverhohlen durchblicken, dass er Waffen besäße und sich zu wehren wisse. Er erzählte von Auseinandersetzungen mit Polizisten, und dass er einem Mann nach irgendeinem Vorfall gesagt habe, man träfe sich im Leben immer zweimal. „Und das nächste Mal treffe ich ihn zwischen den Augen.“ Dabei tippte er mit dem Zeigefinger auf seine Stirn.

Innerhalb von zwei Jahren sind wir in zwei vollkommen unterschiedlichen Situationen mit Reichsbürgern zusammengetroffen. Beide Male haben wir eigentlich nur durch Zufall erkannt, mit wem wir es zu tun hatten. Beim ersten Mal spielte natürlich auch unsere damalige Unwissenheit eine große Rolle. Allerdings haben wir uns auch gefragt, was wäre denn gewesen, wenn wir nach 800 km Fahrt mit zwei Hunden im Schlepptau und begrenzten finanziellen Mitteln sofort erkannt hätten, bei wem wir eine Unterkunft gebucht hatten? Ganz ehrlich, wir wissen es nicht.

Wäre die Liebste kein so höflicher Mensch und hielte es nicht für selbstverständlich, nach getaner Arbeit einen Kaffee anzubieten, wäre es höchstwahrscheinlich nie zu diesem Gespräch am Gartentisch gekommen. Und wir würden den Mann in der Latzhose nur für einen ziemlich neugierigen Menschen halten, der frauenfeindliches Dummdummgelabere mit Konversation verwechselt.

Gerade weil diese beiden Begegnungen so zufällig und unterschiedlich waren, stellen wir seit Monaten immer wieder Überlegungen an, wie viele Reichsbürger rennen eigentlich unerkannt in unserem Land herum? Kann es wirklich sein, dass ausgerechnet nur wir, gerade wir, zwei linke Ökölesben, mal extrem verkürzt und pauschal ausgedrückt, ihnen über den Weg laufen?

Und dann gibt es da natürlich noch einen weiteren wichtigen Punkt: Ein Reichsbürger ist in unserer Privatsphäre herumgetrampelt. Kennt unser Haus nicht nur von außen, sondern auch von ihnen. Weiß, welche Bilder und Plakate wir an den Wänden hängen haben. Hat Fotos von uns, unserer Familie, unseren Freund:innen und vor allem auch, das liegt uns besonders im Magen, unseren Enkelkindern gesehen. Wie sollen, können, müssen wir damit umgehen?

Bis vor Kurzem haben wir bei diesen Gedanken nur ein diffuses Unwohlsein verspürt. Schließlich lautete die vorherrschende Meinung; Reichsbürger beschäftigen sich außer mit sich selbst nur noch mit Institutionen und Vertreter:innen unseres Staates. Als vor knapp zwei Wochen die sogenannte „Gruppe S“ verhaftet wurde, hörten und lasen wir zum ersten Mal davon, dass Reichsbürger und Nazis tatsächlich auch gemeinsam unterwegs sein können.

Um Missverständnissen vorzubeugen, wir fühlen uns nicht akut bedroht. Wenigstens nicht bedrohter als die letzten zwanzig Jahren auch. Als seit Jahrzehnten offen lebende Lesben, durch die Karnele hier, #idpet u.m. sind wir so einiges gewohnt. Trotzdem haben wir momentan das Gefühl, irgendetwas verändert sich gerade gewaltig zum Schlechteren. Etwas, das wir noch nicht zu fassen bekommen.  

   

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