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Über Ängste, Treppen, Spinnen und Krokodile. Wie die Deutsche Bahn mich beinah von der #rp14 ferngehalten hätte.

Die bisherigen re:publicas habe ich immer am PC verfolgt. Mich in Blogs darüber informiert, Streams angesehen, Tweets gelesen. Aus mehreren Gründen wäre ich von allein nie auf die Idee gekommen, dieses Jahr dort über #idpet zu sprechen. Einer davon ist, dass ich Menschenmassen nicht (mehr) gewöhnt bin und schon die Vorstellung daran macht mich müde. Manche Wochen sehe ich außer der Liebsten in den paar Minuten zwischen ihrem Feierabend und Einschlafen kaum andere Menschen. Nicht etwa, weil ich mich im Haus verstecken würde, ganz im Gegenteil, vom Frühling bis Herbst halte ich mich die meiste Zeit des Tages im Freien auf. Doch unser Dörfchen hat nur knapp 300 Einwohner_innen und fast alle meiner Nachbar_innen betreiben inzwischen Landwirtschaft als Nebenerwerb. Tagsüber fahren sie viele Kilometer weit weg zu ihren Jobs, zurückbleiben die Bewohner_innen des Altenheims und ich. Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen, das soll keine Beschwerde sein, schließlich habe ich mir den Ort bewusst ausgesucht und lebe sehr gerne hier.

Ein weiterer Grund, weshalb ich bisher noch nie zur re:publica gefahren bin, betrifft den finanziellen Aspekt. Eintrittskarte, 1200 km (hin- und zurück) mit der Bahn, drei Tage Aufenthalt in Berlin, Übernachtungen, da kommt eine Summe zusammen, die ich nicht einfach mal so zur Verfügung habe, sondern zusammensparen muss. Freiberuflich zu arbeiten, bedeutet im wahrsten Sinn des Wortes wirklich viele Freiheiten, die ich genieße, aber oft eben auch ein Leben knapp über dem Existenzminimum. Deshalb wird die Teilnahme an Veranstaltungen wie die re:publica für Menschen wie mich – es befinden sich ja viele in ähnlichen Situationen –, zu einem Luxus, dessen Für und Wider genau abgewägt sein will.

Gereizt hatte es mich allerdings schon immer, einmal selbst dabei zu sein, Menschen zu treffen, die ich seit Jahren online kenne und etwas von dieser besonderen Atmosphäre mitzubekommen. Wahrscheinlich habe ich deshalb ohne weiteres Nachdenken Andreas Meyers Anfrage, zusammen etwas über #idpet zu machen, spontan zugesagt und mir erst später leicht erschrocken Gedanken darüber gemacht, auf was ich mich da einlassen will. Wäre Andrea nicht auf die Idee gekommen und hätte sie sich nicht um die ersten organisatorischen Schritte gekümmert, wie z. B. rechtzeitig auf „call for papers“ zu reagieren und uns als Speakerinnen zu registrieren, wäre die Session gar nicht zustande gekommen. Für ihr zielstrebiges Vorgehen bin ich ihr wirklich sehr dankbar.

Wegen der Deutschen Bahn hätte sie jedoch beinah den Vortrag alleine halten müssen. Am Tag vor Beginn der re:publica setzte mich die Liebste auf dem Weg zur Arbeit am Provinzbahnhof Neckarelz ab. Bester Laune wartete ich im strahlenden Sonnenschein auf die S-Bahn, die mich nach Mannheim zum ICE bringen sollte. Sie kam pünktlich und fuhr ebenso pünktlich wieder ab – allerdings ohne mich. Wie erstarrt stand ich immer noch mit meinem Gepäck auf dem Bahnsteig und sah ihr nach. Zwischen mir und ihrer geöffneten Tür hatte sich ein Abgrund befunden, gefühlte zwei Meter breit und unendlich tief, vermutlich warteten da ganz unten bereits gefräßige Krokodile mit aufgerissen Mäulern auf mich. Bei dieser S-Bahn gab es noch nicht einmal Haltegriffe, -stangen zum Festklammern, um mich todesmutig über die Schlucht schwingen zu können.

Fast alle Menschen, die ich kenne, leben mehr oder weniger mit irrationalen Ängsten. Am Morgen erst hatte ich eine riesige Spinne im Bad gefunden, sie auf meine Hand gesetzt und ins Freie getragen. In anderen Haushalten wäre sie vielleicht im Staubsauger gelandet oder sogar erschlagen worden. Abstände zwischen Bahntür und Bahnsteig lassen sich leider weder einsaugen noch erschlagen. Genauso wenig wie Gittertreppen. Wie diese Art von Angst genannt wird, weiß ich nicht, allerdings muss sie weit verbreitet sein, denn es gibt Altersheime, die sie sich zunutze machen, um Demenzkranke am unbeaufsichtigten Verlassen des Hauses zu hindern. Vor Türen wird ein schwarzes Material auslegt, das den Eindruck eines riesigen Lochs vermitteln soll und als Fortschritt zu abgeschlossenen Türen gilt. In meinen Augen handelt es sich dabei um Folter, aber das wäre jetzt  ein anderes Thema.

Den Tränen nah stand ich auf dem Bahnsteig und ging meine Möglichkeiten durch. Falls die nächste Bahn pünktlich kam und mir der Einstieg wider Erwarten gelingen sollte, könnte ich sogar noch den ICE in Mannheim erreichen. Und wenn nicht, was dann? Meine Fahrkarte war „Zuggebunden“, wie viel mehr eine Umbuchung wohl kosten würde? Vorausgesetzt, ich käme im Laufe des Tages doch noch irgendwie – vielleicht per Anhalter? – nach Mannheim. Währenddessen füllte sich der Bahnsteig wieder, ein Mann mit Krücken kam und ein sehr altes Paar, das sich kaum selbst auf den Beinen halten konnte und gegenseitig stützte. Ich suchte ihre Nähe und redete auf mich ein: „Wenn die es schaffen einzusteigen, dann kannst du das auch!“. Und dann, oh Wunder, kam keine S-Bahn, sondern ein Regionalzug, mit nur einem winzigen Spalt zum Bahnsteig und Haltegriffen an Türen. Vor Erleichterung störten mich danach noch nicht mal die 45 Minuten Verspätung des ICE. Erst am nächsten Tag auf dem Gelände der re:publica kehrte der Horror zurück.

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