Zum Inhalt springen

Vorwärts, rückwärts, seitwärts

Vor einigen Tagen hat das europäische Parlament beschlossen, die umstrittene Zeitumstellung im nächsten bzw. übernächsten Jahr endgültig abzuschaffen. Jeder Mitgliedsstaat soll demnach selbst entscheiden, ob bei ihm künftig die Winter- oder die Sommerzeit dauerhaft gelten wird. Persönlich würde ich ja die Sommerzeit vorziehen, denn ich genieße die langen hellen Abende im Freien. Allerdings verstehe ich auch die Argumente vieler Eltern, deren Kinder wegen der Helligkeit wochenlang nicht ins Bett gehen wollen und im Winter dann bei tiefer Finsternis morgens zur Schule geschickt werden.

Doch egal, welche Zeit ab 2021 in Deutschland gelten wird, Szenen wie ich sie im Jahr 2003 beschrieben habe, wird es in unserer Lesbenehe jedenfalls nicht mehr geben.

 

»Denk daran, am Wochenende wird die Uhr umgestellt«, erinnert mich die Liebste und ich zucke zusammen.

Leider wird die Uhr nicht nur von der Kommode auf den Nachttisch geräumt, wie das Wörtchen umstellen vermuten ließe. Sie wird um eine Stunde vorgestellt oder nachgestellt? Vielleicht auch rauf oder runter, ich kann mir das nie merken. Ich weiß nur, am letzten Wochenende im März beginnt die Sommerzeit und dann ist es abends früher hell oder morgens später dunkel?

Darüber sind die Liebste und ich stets geteilter Meinung. Ein Jahr ist sie für dies und ich für jenes, im nächsten Jahr ist es umgekehrt. Krach liegt so oder so in der Luft. Ich wecke sie eine Stunde zu früh, sie programmiert die Kaffeemaschine eine Stunde zu spät.

Diesen Beziehungsstress gleich zweimal im Jahr verdanken wir, wenn ich mich recht erinnere, dem ersten Weltkrieg, dem zweiten Weltkrieg und der Ölkrise Anfang der siebziger Jahre, weshalb dann Anfang der achtziger Jahre die Sommerzeit eingeführt wurde. Da sage noch mal eine*r, unsere Politiker*innen handeln nicht geschwind. Meines Wissen war die Ölkrise damals bereits vorbei oder besser, wir hatten uns daran gewöhnt. Trotzdem galt: beschlossen ist beschlossen.

Die erste Umstellung auf die Sommerzeit fand ich noch ganz angenehm. Ich saß in jener Nacht mit Freundinnen zusammen und wir bemalten ausgeblasene Eier. Im Jahr danach wurde es unangenehm und so ist es bis heute geblieben. Denn zeitgleich mit der Einführung der Sommerzeit veränderten sich die Uhren. Die Mechanischen zum Aufziehen verschwanden und die Komplizierten kamen.

Unsere Armbanduhren machen uns heute noch keine Probleme. Sie haben schöne altmodische Rädchen. Stift herausziehen, drehen, Stift wieder reindrücken und fertig. Nicht einmal eine Minute dauert dieser Vorgang für drei Armbanduhren.

Die Uhr im Esszimmer lässt sich auch gut umstellen. Eine billige Erwerbung, eigentlich für Schulkinder gedacht. Die beiden Zeiger haben die Form von Bleistiften. Zwar hängt diese Uhr sehr hoch, aber sie ist nicht verglast. Ich muss nur zum Besen greifen und mit dem Stiel die Bleistiftzeiger ein wenig verschieben, fertig.

Schwieriger wird das mit der Uhr im Bad. Sie hängt auch sehr hoch, ist leider hinter Glas und hat in all den Jahren noch keine neue Batterie gebraucht. Wie sie umgestellt werden müsste, wissen wir nicht.

Die Liebste ist meist zu beschäftigt, um akrobatische Übungen zu veranstalten. Denn alles, was ich nicht mit einem Besenstiel oder der kleinen Trittleiter erreichen kann, fällt in ihren Zuständigkeitsbereich. Sie streitet das auch keineswegs ab. Nur die große Leiter, die sie dazu benötigt, liegt irgendwo auf der Terrasse unter viel Gerümpel und es ist immer gerade viel zu kalt oder zu nass, um nach draußen zu gehen.

So zeigt die Badezimmeruhr ein halbes Jahr lang die richtige und ein halbes Jahr lang die falsche Zeit an. Uns stört das nicht, wir wissen, dass wir uns auf diese Uhr nicht verlassen können. Besucher*innen hingegen geraten schon mal in Panik, wenn sie das gewisse Örtchen aufgesucht haben und danach meinen, schon eine Stunde zu spät für ihren nächsten Termin zu sein.

Die Uhr in Omas Zimmer, groß wie ein Pizzateller und ebenfalls hinter Glas, hängt auch recht hoch. Sie müssen wir umstellen, ob wir wollen oder nicht, denn wir brauchen sie als Beweismittel. »Bring mich endlich ins Bett, es ist schon Mitternacht!« sagt Oma beispielsweise morgens um neun und es wäre recht fatal, wenn ihre Uhr dann auch Mitternacht anzeigen würde. Also steigt die Liebste stöhnend auf den wackligen Tisch, während ich als Auffanghilfe hinter ihr stehe für den Fall, dass sie seit dem letzten Mal drei Kilo zugenommen hat und der Tisch zusammenbricht.

Trotzdem, mit all diesen Uhren sind wir schnell durch, auch an den PCs stellen sich die Uhren automatisch um. Danach lassen wir die äußeren Uhren erst einmal Uhren sein und versuchen unsere inneren Uhren an die neue Zeit zu gewöhnen.

Zwei, drei, vier Tage nach der Zeitumstellung beginnt für uns der schwierige Teil. Wie stellt frau die Uhr an der Mikrowelle um? Dazu braucht sie zunächst die Anleitung, die ich genau dort finde, wo sie sein soll: in dem Köfferchen mit den Betriebsanleitungen und Garantien. So viel Ordnung in unserem Haushalt macht mich erst einmal fassungslos.

Währenddessen schreitet die Liebste zur Tat. »Drücken Sie mit dem linken Zeigefinger Knopf B und verstellen Sie mit der rechten Hand Knopf G, während Sie mit dem Mund an dem Schalter zwei drehen und mit ihren Zehen Regler P drei Schritte vorwärts bewegen…« lese ich laut vor und werde prompt angeschnauzt. »Was soll denn der Quatsch?!«

Was das soll? Das Gerät stammt aus China, vielleicht gibt es dort keine Sommerzeit. Oder vielleicht soll die Vorstellung, wie wir in der Küche stehen und versuchen, die Zeit umzustellen, etwas Heiterkeit in den tristen Arbeitsalltag bringen.

Die Mikrowelle merkt, dass ihr Gewalt angetan werden soll und piepst aufgeregt in den hellsten Tönen. Als sie sich auch noch grünrosa verfärbt, ziehen wir erst einmal den Stecker.

»Bei jedem abgehenden Gespräch werden Uhrzeit und Datum automatisch von der Vermittlungsstelle der Telekom eingestellt«, heißt es in der Betriebsanleitung für das Telefon. Das stimmt sogar, nur scheint die Telekom ihrer Zeit einen Monat voraus zu sein.

»Sie können das Datum auch manuell eingeben«, steht wohl deshalb auch geschrieben. »Drücken Sie Menü, Okay, Menü, Uhrzeit/Datum, Menü, okay …« Das Datum stimmt immer noch nicht, dafür sind die gespeicherten Telefonnummern verschwunden.

»Wozu brauchen wir denn das aktuelle Datum am Telefon?« frage ich und die Liebste stimmt mir zu. Wenn die Telekom meint, wir haben Ende April, dann belassen wir es eben dabei. Wir müssen uns ja nicht ständig streiten, programmieren nur die Telefonnummern neu … und denken bereits jetzt mit Schrecken an den Oktober.

Auf der Karnele werden Cookies gesetzt, z.B. von Anbietern verschiedener Wordpress Plugins und IONOS, dem Webhoster. Wenn Du hier weiterliest, akzeptierst Du deren Verwendung.