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Was der AK Zensur, die Internetzensurbehörde und die Netzneutralität gemeinsam haben

»Darf ich Sie mal was fragen?« So zögerlich und verlegen, wie sich die Nachbarin am Gartenzaun anhörte, befürchtete ich, es würde um den Erwerb von Sexspielzeug oder das schwule Coming Out ihres Mannes gehen. Doch weit gefehlt, sie wollte etwas ganz anderes wissen: »Was macht eigentlich ein ‚AK Zensur‘?«

Für einen Moment muss ich sie angestarrt haben, als wäre sie gerade mit einer fliegenden Untertasse in meinem Garten gelandet und statt einer Erklärung fiel mir zuerst nur eine Gegenfrage ein: »Warum interessiert Sie das denn?«

Fast zehn Minuten lang erzählte sie mir nun von einem verwahrlosten Hund, der im Tierheim Sinsheim gelandet und dessen Geschichte vom AK Zensur aufgegriffen worden war. Und weil ich doch das Spendenbuch für das Tierheim Sinsheim geschrieben und außerdem viel mit dem Internet zu tun hätte, könnte ich ihr vielleicht mal erklären, weshalb diese fürchterlichen Menschen von der »Internetzensurbehörde« dem Tierheim solchen Ärger bereiteten. Man hätte die Fotodokumentation über das Leiden des Hundes auf der Internetseite des Tierheims mit so entsetzlichen Dingen wie Kinderpornografie verglichen.

Ich habe mich wirklich angestrengt, den Irrtum von der Internetzensurbehörde aufzuklären. Leider ist es mir nur ansatzweise gelungen. Dass der Hund und das Tierheim als Beispiel herhalten mussten, hatte bereits zu großen Schaden angerichtet. Die schlechte Meinung über den AK Zensur ist bei »Internet unbedarften« Tierfreund_innen zu einem Selbstläufer geworden.

Vorgestern erlebte ich eine Art Déjà-vu. »Du hast da jetzt so einen neuen Button auf deiner Seite. Was ist denn Netzneutralität?«

Einkaufsnetz, Verkehrsnetz, Stromnetz, Spinnennetz, Fliegennetz, Fischernetz, Schienennetz, Haarnetz, Streckennetz, Transportnetz, Fangnetz, Gepäcknetz, Moskitonetz, Schleppnetz …

Wen wundert es da eigentlich, dass sich viele Menschen unter dem Begriff »Netzneutralität« nichts vorstellen können und deshalb auch keine Ahnung haben, weshalb Veränderungen in diesem Bereich vielleicht einmal drastisch in ihr Leben eingreifen werden.

Insidersprachen gehören zum Alltag, selbst in den meisten Familien gibt es bestimmte Begriffe, die außerhalb nicht verstanden oder falsch interpretiert werden. Szenesprache von Jugendlichen kann Eltern und Lehrer_innen manchmal in den Wahnsinn treiben. Kaum haben sie ein neues Wort gelernt, schon ist es nicht mehr »angesagt«. Einmal ganz abgesehen von den Fachbegriffen, die einzelne Berufsgruppen benötigen, um sich klar verständigen zu können.

Allerdings dient eine Insidersprache häufig auch der deutlichen Abgrenzung von anderen Menschen oder Gruppen und soll signalisieren: »Ich bin intelligenter als du. Im Gegensatz zu dir habe den Durchblick bei den wirklich wichtigen Dingen des Lebens. Du bist ja so was von altmodisch, wenn du mich nicht verstehst.«

Schon lange beobachte ich, wie im Internet stellenweise ein Vokabular gehegt und gepflegt wird, das Lieschen Müller und Otto Normalo entweder nicht verstehen oder schlimmstenfalls sogar in den falschen Hals bekommen. Bei so manchen Dingen ist es wahrscheinlich auch vollkommen egal, ob eine größere Menschenmasse erreicht wird oder nicht.

Der »AK Zensur« oder »AK Vorrat« oder die Initiative »Pro Netzneutralität« sind allerdings Gruppen, die politisch etwas bewirken wollen. Doch um ihr Ziel zu erreichen, bräuchten sie Unterstützung von vielen Internetbenutzer_innen, auch von jenen, die zunächst mal nicht zu ihrem üblichen Klientel gehören. Dennoch gelingt es ihnen nicht, sich klar und deutlich auszudrücken. Ab und zu ist man sich wohl einfach nicht bewusst darüber, dass die Insidersprache nur als reines Kauderwelsch ankommt. Gelegentlich scheint es aber sogar egal zu sein, wie mir mal ein junger Pirat sehr deutlich sagte: »Was interessieren uns die alten Omas und Opas?«

Tja, die alten Omas und Opas, die zu der am stärksten anwachsenden Gruppe von Internetbenutzer_innen gehören, können mit dem Begriff Netzneutralität nichts anfangen und werden deshalb auch keine Petition unterschreiben …

… außer man würde ihnen vielleicht erklären, dass es ohne Netzneutralität im Internet demnächst so zugehen wird, wie es früher mit dem Telefon gewesen war:

Nur der Herr Direktor und der Hausarzt hatte eine eigene Leitung. Andere mussten sich mit einem Gemeinschaftsanschluss begnügen und konnten selbst bei Notfällen nur darauf hoffen, dass Frau Meier von nebenan nicht gerade ein Dauergespräch mit Tante Elsa führte. Ferngespräche am Tag waren unwahrscheinlich teuer und nach 22 Uhr musste man manchmal stundenlang ununterbrochen wählen, bis man endlich eine freie Leitung erwischte. Und ich spreche hier nur von den Zuständen in Westdeutschland, aus der ehemaligen DDR gäbe sicher noch unzählige weitere Beispiele.

Politische Arbeit bedeutet, ganz viele Menschen dort abzuholen, wo sie sich gerade befinden. Das ist oft schwierig und manchmal sogar unmöglich. So einfach wie bei der Netzneutralität ist es wirklich selten.

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