Es ist drei, vier Wochen her, als ich meine »Bio« bei Twitter aktualisierte und eine weitere Beschreibung meiner Person hinzufügte: Protestantin. Ausgerechnet ich, die große Teile ihres Lebens damit verbracht hat, die Kirche zu kritisieren und mich über sie aufzuregen, halte es mittlerweile für nötig, meine Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche sozusagen als Schild vor mir herzutragen.
Dabei ist das mit meinem Glauben so eine Sache. Genau weiß ich eigentlich nur, was ich nicht glaube: an einen bärtigen Mann mit weißem Gewand. Ansonsten wird es schwierig und hängt häufig auch von meiner Stimmung ab. Passiert eine Naturkatastrophe wie neulich das Erdbeben in Haiti, teile ich diesem Wesen da oben oder wo auch immer es sein mag, schon mal mit, dass ich ab sofort gar nichts mehr glauben werde. Ganz nach dem Motto: »Das haste nun davon!«
Das hält mich allerdings nicht davon ab, schon fünf Minuten später zu seufzen: »Göttin, schmeiß Hirn vom Himmel«, wenn sich z. B. gerade Herr Westerwelle mal wieder im Fernsehen gezeigt hat.
Kirche allerdings hat in meinem Augen erst mal nichts mit Glauben zu tun. Ich denke, selbst wenn ich an nichts glauben würde, wäre ich wahrscheinlich trotzdem Kirchenmitglied. Eines meiner Hobbys ist: Lesben, die irgendwann einmal aus der Kirche ausgetreten sind, davon zu überzeugen, wieder einzutreten. Bisher hatte ich zwar erst bei zwei Frauen damit Erfolg, aber Kleinvieh macht ja auch Mist. Außerdem arbeite ich unter erschwerten Bedingungen. Mir ist bekannt, dass zumindest ein inzwischen pensionierter Pfarrer dagegen betet. Noch mehr Lesben in seiner Kirche wären ihm ein Greul.
Ich weiß nicht, wie oft ich schon gehört habe: »Ich habe gerade meine Lohnabrechnung angesehen. Jetzt trete ich aus der Kirche aus!«
Jahr für Jahr verlassen ca. 150.000 bis 200.000 Menschen die evangelische Kirche, weil ihnen der Mitgliedsbeitrag zu teuer ist. Angeblich stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht mehr. Für einen einzigen Gottesdienst im Jahr an Weihnachten, sowie jeweils eine Taufe, eine Heirat und eine Beerdigung im Laufe eines ganzen Lebens … noch nicht einmal ein Klempner nimmt einen so exorbitanten Stundenlohn wie die Pfarrer_innen.
Wie viele andere auch aus dem Westen habe ich natürlich 1989 die Entwicklung in der damaligen DDR gespannt verfolgt. Ich war unglaublich stolz auf den Beitrag »meiner« Kirche, weil sie oppositionellen Gruppen Räume zur Verfügung gestellt hat, und viele Kirchen(Gebäude) Ausgangs- und Endpunkt von Demonstrationen gewesen waren. Ich habe die Leipziger Nicolaikirche noch nie gesehen, aber ich kenne sie seit damals aus den Medien.
Beim damaligen politischen System in der DDR hat eine Zugehörigkeit zur Kirche das Leben nicht gerade leichter gemacht, weshalb auch nur weniger als 30 % der Bevölkerung Kirchenmitglieder waren. Infolgedessen war es selbstverständlich, dass die Ostkirchengemeinden finanziell vom Westen unterstützt wurden. Vielleicht hatte mein Stolz im Jahre 1989 auf meine Kirche auch damit zu tun, weil ich indirekt mit meinen Kirchensteuern dazu beigetragen habe, dass die Leipziger Nicolaikirche zum Treffpunkt der Demonstrant_innen werden konnte.
Meine Kirchensteuern haben auch Behinderteneinrichtungen in der ehemaligen DDR mitfinanziert, denn dieser Bereich wurde dort – aus welchen Gründen auch immer – fast ausschließlich von der Diakonie abgedeckt. Ich weiß das so genau, weil ich vor vielen, vielen Jahren in einer Einrichtung für Behinderte gearbeitet habe. Natürlich im Westen, aber ebenfalls unter dem Dach der Diakonie.
Evangelische Schulen und Kindergärten, wie die wohl finanziert werden? Ja, ich weiß, es gibt enorme Zuschüsse vom Staat, aber ich möchte nicht erleben, was in unserem Land los wäre, wenn Diakonie (und Caritas) sagen würden: »Lieber Staat, wir haben keine Lust mehr. Übernimm mal ruhig unsere Einrichtungen und guck, wie du damit klarkommst.«
Als die Liebste und ich vor langer Zeit beschlossen, für immer zusammenbleiben zu wollen, war es ein evangelischer Pfarrer, der uns die Möglichkeit einer Art Hochzeit bot. Der Staat war zu diesem Zeitpunkt noch voll auf damit beschäftigt, Lesben und Schwulen jedes Recht auf eine Art Ehe abzusprechen. Dankbar für das wunderschöne Ritual haben wir natürlich auch was gespendet – für ein Projekt der Diakonie, das dem Pfarrer damals besonders am Herzen lag: eine Einrichtungin der ehemaligen Sowjetunion für psychisch Kranke, die unter menschenunwürdigen Umständen leben mussten.
Wenn in Haiti die Erde bebt, dann sind es auch Helfer_innen von der Diakonie, die dort zum Einsatz kommen – mitfinanziert von meinen Kirchensteuern. Diese Liste könnte ich jetzt noch um viele Punkte erweitern und würde damit wahrscheinlich die längste Kolumne auf dieser Webseite schreiben.
Ich habe für die Auslegung der zehn Gebote so meine eigene Art der Interpretation, wie die meisten anderen Menschen auch. Und häufig gelingt es mir dann noch nicht einmal, meine persönlichen Regeln einzuhalten. Dennoch sind diese zehn Gebote die Grundlage unserer Kultur, unserer Gesellschaft. Ohne dieses Gerüst für das menschliche Zusammenleben wären wir schlicht nicht überlebensfähig. Und Aufgabe der Institution Kirche ist es, die Beachtung dieser Gebote immer wieder einzufordern, sich einzumischen, wenn etwas schief läuft, und Diskussionen anzustoßen und deshalb zahle ich Kirchensteuern.