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Lisbeth Salander und Eva Gabrielsson

Ich habe es lange für ziemlich überflüssig gehalten, etwas über Stieg Larsson und seine Krimis zu schreiben. Im Internet gibt es schließlich bereits unendlich viele Seiten und Rezensionen dazu. Doch dann fand ich bei lesben.org einen kleinen Hinweis auf Lisbeth Salander und erfuhr von Konny, dass die Lesben in ihrem Umfeld gar nicht verstehen, weshalb sie diese Figur und die Bücher mag. Anscheinend wurde doch noch nicht alles zu dem Thema gesagt

»Der Mann, der Frauen hasste« – »Das Mädchen, das mit dem Feuer spielt« – »Das Luftschloss, das gesprengt wurde« … Drei der erfolgreichsten Krimititel der letzten Jahre. Unbekannt? Noch nie gehört? Nun, die deutschen Titel »Verblendung«, »Verdammnis« und »Vergebung« werden den meisten schon etwas mehr sagen. Und ich, die ein paar Brocken schwedisch versteht und ungefähr zwei Sätze sogar aussprechen kann, frage mich, was sich der deutsche Verlag bei diesen sinnfreien Titeln nur gedacht hat?

Seit Jahren lese ich nur noch selten Krimis, die von Männern geschrieben wurden. Und Bücher, die derart penetrant beworben werden wie die von Stieg Larsson, sind schon gar nicht mein Fall. Doch eines Tages war bei meinem Hörbuchabo ein neuer Download fällig, die aktuelle Auswahl nicht gerade berauschend und halbherzig entschied ich mich schließlich für »Verblendung«. Wenigstens handelte es sich dabei um einen schwedischen Krimi.

Hörbucher haben gegenüber den Printausgaben einen unschlagbaren Vorteil: Frau muss sie nicht aus der Hand legen, wenn sie sich die Zähne putzt oder mit den Hunden unterwegs ist. So hörte ich beinah ohne Pausen zehn Stunden lang Dietmar Bär zu, wie er die Geschichte von Mikael Blomquist und Lisbeth Salander vorlas. Schon am nächsten Tage lud ich mir den zweiten Teil »Verdammnis« herunter und reagierte hellauf empört, als ich feststellen musste, dass »Vergebung« noch nicht als Hörbuch zur Verfügung stand. Gezwungenermaßen besorgte ich mir erst mal das Buch und las es innerhalb weniger Tage. Dabei bemerkte ich, dass die Hörbücher ungefähr um die Hälfte gekürzt sind. Also waren die ersten beiden Bände nun auch in gedruckter Form fällig. Zwischendurch wollte die Liebste wissen, ob ich mal wieder Zeit für sie hätte. Sie hatte Pech, denn endlich gab es auch den dritten Band als Hörbuch …

Keine Frage, ich war süchtig geworden, und wie alle Süchtigen suchte ich Nachschub. Irgendwo im Internet fand ich den Hinweis auf einen vierten Band. Hipphipphurra!!

Den habe sich aber die Lebensgefährtin unter den Nagel gerissen, musste ich dann allerdings lesen. Diese Frau sei ein geldgieriges gemeines Biest, weshalb Stieg Larsson eingegriffen und aus dem Jenseits in einer Mittsommernacht einem in Schweden sehr bekannten Medium Band 5 diktiert habe. Aus Zeitmangel und wohl auch, weil das Medium nicht stenografieren konnte, würde der fünfte Roman jedoch nur einen Umfang von ca. 500 Seiten haben. Das alles hörte sich beinah so spannend an wie die Krimis selbst.

»Was für ein Schwachsinn«, sagte eine Freundin, als ich ihr von den drei Büchern vorschwärmte. »Da hat mal wieder ein Kerl einen Krimi geschrieben. Na und? Seit wann stehst du denn auf so was?«

Die Frage kann ich genau beantworten: Seit es Lisbeth Salander gibt – den Albtraum aller Frauenhasser, Vergewaltiger, Stalker und Pädophiler!

Der Journalist Stieg Larsson wurde in Schweden bekannt, als er nach einer Mordserie durch Neonazis 1995 die antirassistische Stiftung EXPO gründete. Ab 1999 war er auch hauptamtlicher Redakteur bei der gleichnamigen Zeitschrift. Irgendwann begann er Krimis schreiben und sagte in einem Interview 2004 über seine Figur Lisbeth Salander: »Ich kam auf die Idee mit Pippi Langstrumpf. Was wäre aus ihr geworden? Wie wäre sie heute als Erwachsene? Wie würde man sie nennen? Eine Soziopathin? Lieschen Dampf in allen Gassen? Sie sieht die Gesellschaft anders als andere. Ich schuf sie als Lisbeth Salander, 25 Jahr alt, mit einer enormen Extrovertiertheit. Sie nimmt niemanden wahr, hat keinerlei soziale Kompetenz. So brauchte man ein Gegengewicht zu ihr. Das wurde Mikael ‚Kalle’ Blomkvist, ein 45-jähriger Journalist. Ein Bruder Tüchtig, der bei einer eigenen Zeitung mit Namen Millennium arbeitet. Die Handlung kreist um die Zeitungsredaktion, aber auch um Lisbeth Salander, die wenig von ihrem eigenen Leben hat.«

Stieg Larsson plante, ähnlich wie in siebziger Jahren Wahlöö und Sjöwall die schwedische Gesellschaft in zehn Kriminalromanen zu beschreiben. Außerdem müsse er etwas für seine Altersvorsorge tun, soll er als weiteren Grund angegeben haben.

Über dreißig Jahre lebte und arbeitete er mit Eva Gabrielsson zusammen. Das Paar war nicht verheiratet und er hatte auch kein Testament gemacht. Es gab noch gar nichts zu vererben. Dann starb er makraberweise beinah genau so, wie er selbst eine seiner Figuren hatte sterben lassen. Die finanziellen Früchte der Millenniumreihe ernten sein Vater und sein Bruder. Das schwedische Gesetz ist hier eindeutig auf ihrer Seite. Die Gründe, weshalb Stieg und Eva nicht verheiratet gewesen waren und weshalb kein Testament vorlag, spielen keine Rolle.

Der schwedische Verlag, der die Rechte an den drei Büchern besitzt, ist froh, es mit Vater und Bruder zu tun zu haben. Stieg Larsson wollte nie als Privatperson in die Öffentlichkeit, wollte kein Medienpromi werden und hätte es vielleicht noch nicht einmal zugelassen, dass Millennium verfilmt wird. Eva Gabrielsson wäre für den Verlag die wesentlich schwierigere Verhandlungspartnerin gewesen. Denn ihr ist nicht der finanzielle Erfolg, sondern das Andenken an Stieg Larsson und dessen Anliegen wichtig. Deshalb ist sie bisher auch nicht bereit, das Manuskript für den vierten Band herauszurücken.

In einer Rede sagte sie:

»Als ich Stieg Larsson 1972 traf, definierte er sich als Feminist. Das war ungewöhnlich. Er erkannte schon jung die Situation von Frauen und verlor sie nie aus seinem Blickfeld. Seine Handlungen und seine Ansichten von der Welt waren hauptsächlich aus der Perspektive von Frauenrechten geprägt … Ein Beispiel ist vom Herbst 2003, als Cecilia Englund mit Stieg an einem Buch mit dem Titel »Die Debatte über Ehrentötungen« arbeitete, wo Parallelen zwischen den fast gleichzeitigen Morden an einer kurdischen Frau genannt Fadime Sahindal und einem schwedischen Modell genannt Melissa Nordell gezogen wurden. Der Mord von Fadime Sahindal wurde als eine »Ehrentötung« und etwas Ausländisches im Gegensatz zur »schwedischen Kultur« beschrieben. Der Mord Melissa Nordell galt als ein gewöhnlicher Mord. Stieg nannte sie »Schwestern im Tod«, beide Opfer desselben patriarchalischen Verhaltens, das mittels Gewalt Frauen kontrollieren will. …Der Untertitel des Buches war folglich »Feminismus oder Rassismus«. Stieg Larsson schrieb: »Die Formen der Bedrohung unterscheiden sich aber nicht die Ursache der Bedrohung … sizilianische Ehrenmorde, brennende Witwen in Indien oder das Verprügeln von Freundinnen und Frauen in den Samstagsnächten in Schweden … Das ist eine systematische Gewalt gegen Frauen – und würde auch als solche beschrieben, wenn sie gegen Gewerkschaftler, Juden oder behinderte Leute ausgeübt würden. Feminismus und Antirassismus sind zwei Seiten derselben Münze … Die Millennium-Trilogie ist eine neue Weise, Gewalt gegen Frauen sichtbar zu machen …  Nichts würde ihn mehr erfreuen als das Wissen, dass die eigentliche Bedeutung der Triologie gesehen, gehört und verstanden wurde … Im Auftrag meines lebenslänglichen Partners, Geliebten und besten Freunds, Stieg Larssons den Mann, der Frauen liebte.«

EXPO

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