Bis in die Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts waren die Verhältnisse klar: Ein junger Mann studierte Theologie, verlobte sich während des Lehrvikariats und heiratete spätestens gegen Ende der Vikariatszeit, um gemeinsam mit »Frau Pfarrer« seine erste eigene Pfarrstelle antreten zu können. Praktischerweise hatte die Braut ebenfalls einige Semester Theologie studiert oder eine Ausbildung im sozial-pflegerischen Bereich absolviert. Diakonieschwestern (nicht zu verwechseln mit Diakonissen) galten als besondere Schnäppchen auf dem evangelischen Heiratsmarkt. Natürlich mussten sie einen einwandfreien Lebenswandel nachweisen können und beim Bischof einen guten Eindruck hinterlassen.
»Sie müssen Ihrem Mann sowohl Martha als auch Maria sein, genau wie es Katharina Bora für Martin Luther gewesen ist«, soll einer der üblichen Sätze bei diesem Vorstellungstermin gewesen sein. Haushalt, Garten, Kindererziehung, Frauenbibelkreis, Pfarramtssekretärin und stets bereit für theologische Diskussionen mit dem Ehemann. Sie galten als Vorbild für jede andere Frau in der Gemeinde, waren gekleidet wie ihre eigenen Großmütter und standen unter ständiger Beobachtung.
Mit der Frauenbewegung begann sich auch das Leben der Pfarrersfrauen langsam zu verändern. In ihrem Buch »Pfarrers Kinder, Müllers Vieh. Memoiren einer unvollkommenen Pfarrfrau« schreibt Amei-Angelika Müller mit viel Witz über jene Zeit, in der ihre kurzen Haare oder eine Jeans noch die Gemeinde in ihren Grundfesten erschütterte.
Allmählich war so manche Pfarrfrau nicht mehr bereit, ausschließlich für ihren Mann »Martha und Maria« zu sein, sondern übte einen eigenen Beruf aus. Andere schmissen ganz hin und reichten die Scheidung ein. Erst jetzt wurde man sich in den evangelischen Landeskirchen bewusst, dass viele Jahre »Gottes Lohn« weder Renten- noch Arbeitslosenversicherung noch sonstige Absicherungen für eine abtrünnige Pfarrfrau beinhaltet hatten und es musste nach Lösungen gesucht werden.
Immer mehr Theologiestudentinnen gaben sich nicht damit zufrieden, einen Pfarrer zu heiraten, sie wollten selbst Pfarrerinnen sein. Doch wohin mit den Ehemännern? Beim monatlichen Kaffeeklatsch der Pfarrfrauen des Kirchenbezirks hockte nun manchmal ein »Pfarrmann« dabei und erwies sich als Störfaktor. Und für die Leitung des Frauenbibelkreises schien er oft auch nicht geeignet zu sein.
Entgegen allen Befürchtungen haben die Kirchengemeinden diese Veränderungen nicht nur hingenommen, sondern auch mitgetragen und manchmal sogar durch penetrantes Nörgeln an oberer Stelle vorangetrieben. Natürlich brauchte es seine Zeit, bis man sich daran gewöhnt und die Erfahrung gemacht hatte, dass eine Pfarrei auch ohne die unbezahlte Mitarbeit einer Pfarrfrau funktionieren kann oder Pfarrerinnen ebenso wie ihre männlichen Kollegen geeignet sind, zu predigen und eine Beerdigung würdevoll zu gestalten.
»Homo-Ehen im Pfarrhaus schrecken Altbischöfe auf« – »EKD streitet über schwule Pfarrer« – »Früherer EKD-Ratsvorsitzender: Homosexualität ist nicht bibelwidrig«
Unzählige Schlagzeilen der letzten Wochen zeigen, dass es in der evangelischen Kirche wieder einmal brodelt. Mit den beinah gleichen Argumenten, mit denen vor Jahren Pfarrfrauen in die Pflicht genommen und Pfarrerinnen am Besteigen der Kanzel gehindert werden sollten, wird nun über die Homosexualität gestritten. Dabei sind die lesbischen Pfarrerinnen und schwulen Pfarrer schon lange in den Pfarrhäusern angekommen. Die Neuformulierung des Pfarrdienstgesetzes im letzten November war nichts anderes als eine längst überfällige Anpassung an die Realität.
Was mich bei dieser Diskussion irritiert, sind nicht nur die homophoben Äußerungen mancher Pfarrer_innen z. B. in meiner Landeskirche, sondern auch die Inbrunst, mit der einige Menschen ihre Kommentare dazu abgeben – Menschen, die bei anderen Gelegenheiten nachdrücklich betonen, keiner Kirche anzugehören und häufig nicht einmal wissen, dass die evangelische Kirche ganz anders als die Katholische organisiert ist und wir keinen »Papst« haben, der für uns denkt und die Richtung vorgibt.
Die Segnung von lesbischen und schwulen Paaren ist offiziell heute noch in der badischen Landeskirche nicht erlaubt – eine Tatsache, die den Pfarrer, der uns 1995 segnete, schon damals nicht interessierte. Zwei Jahre später allerdings saß in unserem Esszimmer ein anderer Pfarrer, der uns wegen unserer Lebensweise mit dem »himmlischen Richter« drohte.
Pfarrdienstgesetz hin und Altbischöfe her letztendlich wird es die Sache jeder einzelnen Kirchengemeinde sein, ob sie willens und in der Lage ist, ein homosexuelles Paar in ihrem Pfarrhaus zu akzeptieren oder ob sie vielleicht noch etwas Zeit braucht, bis sie eine entsprechende Entscheidung treffen kann.
Nachtrag vom 11. Februar 2011
In der badischen Landeskirche gibt es zurzeit ungefähr 700 Pfarrer_innen, davon leben fünf Lesben bzw. Schwule in einer eingetragenen Partnerschaft.
Nachtrag vom 16. April 2011
»Mit großer Mehrheit hat die Landessynode das Pfarrdienstrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) übernommen. Zur strittigen Frage des Zusammenlebens gleichgeschlechtlicher Lebenspartner im Pfarrhaus wurde keine gesetzliche Regelung getroffen. Eine untergesetzliche Regelung sei die sinnvollste Entscheidung gewesen, um individuelle Lösungen zu ermöglichen, so Pfarrer Theo Breisacher, Vorsitzender des Hauptausschusses. »Dies wird hoffentlich auch zur Befriedung innerhalb unserer Landeskirche beitragen«, meinte Breisacher im Blick auf die Diskussionen vor der Synode. Der Evangelische Oberkirchenrat will künftig im Einzelfall und im Konsens mit den Gemeinden und den betreffenden Personen auch Pfarrerinnen und Pfarrern in eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften das Leben im Pfarrhaus ermöglichen.«