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Der große Unterschied zwischen Lesben und Heten

Das Ritual am Morgen: Mit einer Tasse Kaffee und einer Zigarette an den PC setzen und die Mails durchgehen, die in der Nacht eingetrudelt sind. Fast immer stoße ich dabei auf einen Link, der mir die Laune vermiest. Vorausgesetzt ich klicke ihn tatsächlich an, manchmal reicht schon die Überschrift, um zu ahnen: »Darüber will ich heute gar nichts wissen!« Doch den Kopf in den Sand zu stecken, hilft meistens nicht. Im Laufe des Tages finde ich auf Twitter oder Facebook garantiert ebenfalls Hinweise auf den verschmähten Artikel und irgendwann gewinnt meine Neugier.

Vor Kurzem machte ein Video von einem Baptistenpfarrer aus North Carolina die Runde. Was der zu sagen hatte, wollte ich zunächst auch weder hören noch bei youtube ansehen. »Steckt Lesben und Schwule ins KZ, damit sie aussterben!« Später entpuppte sich diese »Predigt« neben den homophoben Tiraden allerdings als recht amüsant und führte auf Twitter zu einer Unterhaltung über homosexuelle Fortpflanzungsarten.

Auch die Meldung, dass ein Moskauer Gericht gleich für die nächsten 100 Jahre den CSD verboten hat, gehört im Grunde genommen eher in die Rubrik Satire – wenigstens für mich als eine Lesbe aus Westeuropa. Russische LGBT Menschen finden das wahrscheinlich nicht besonders lustig, selbst wenn sie wissen, dass eine derartige Planung in die Zukunft einfach nur absurd ist. Ganz besonders in einem Land, dessen System vor zwanzig Jahren quasi über Nacht zusammengebrochen ist, hat man doch Erfahrung damit, wie unvorhersehbar politische Entwicklungen sein können.

Der Osten Europas wird mehr und mehr für Lesben und Schwule zu einer No-Go-Area. Ein Urlaub an der polnischen und baltischen Ostseeküste, den die Liebste und ich angedacht hatten, ist inzwischen in weite Ferne gerückt. In Länder fahren, wo der CSD nur unter massivem Polizeischutz stattfinden kann? Und dieser lediglich gewährt wird, weil die Staaten entweder bereits in der EU sind oder beitreten wollen und deshalb zähneknirschend als eine der Bedingungen LGBT Rechte in Kauf nehmen? Das Risiko eingehen, irgendwo verhaftet zu werden, weil der Familienstand »verpartnert« als »Homosexuellenpropaganda« ausgelegt werden könnte? Unter Erholung stellen wir uns was anderes vor.

Ein reisefreudiges und abenteuerlustiges Lesbenpaar aus unserem Bekanntkreis hatte lange davon geträumt, einmal mit ihrem Bus rund um die Welt zu fahren. Doch wie sie die Routen auch planten, immer wieder stießen sie dabei auf Länder, in denen sie als Lesben unerwünscht waren. Mal wegen der offiziellen Politik eines Staates, mal wegen der angeblichen Einstellung in der Bevölkerung gegenüber Homosexuellen. Eines Tages haben sie sich von ihrem Traum verabschiedet und akzeptiert, dass es viele Orte auf dieser Welt gibt, die sie wohl nie sehen werden.

Der Stuttgarter CSD findet dieses Jahr unter dem Motto »gleichbeschäftigt« statt. Wie geht es LGBT Menschen im Beruf? Was erleben sie mit Kolleg_innen und Vorgesetzten? Unbeabsichtigt gestaltet sich die Suche nach einem Schirmherrn, einer Schirmfrau zum Musterbeispiel für Diskriminierung, denn diesen Job will keine_r aus der Wirtschaft machen. »Nichts gegen Lesben und Schwule im Unternehmen, aber am besten bitte ‚Nichts fragen, nichts sagen‘«. Eine Bekannte, die in einer großen Firma arbeitet, muss jedes Jahr wieder der Lohnbuchhaltung erklären, was »verpartnert« bedeutet und weshalb sie Steuerklasse 1 hat. »Und wieso reden Sie immer von Ihrer Frau?«, wollte der Chef vorwurfsvoll wissen und ließ durchblicken, dass die Anwesenheit »der Frau« beim Betriebsfest mit Familienangehörigen unerwünscht sei.

Zu jenen Meldungen, die mir regelmäßig morgens die Laune vermiesen, gehören auch solche, die sich mit Kirche und Glauben beschäftigen. »Schottischer Kardinal: Erziehung durch Homo-Ehe in Gefahr« und »Sachsen: Evangelikale machen mobil gegen Homo-Ehe«, hieß es heute zum Beispiel. Wildfremde Menschen, die weder mich noch die Liebste kennen, wollen uns Vorschriften darüber machen, wie wir zu leben haben. Es gibt so viel Elend und Unglück auf dieser Welt, Kriege, Naturkatastrophen, Diktaturen, Hunger, Obdachlosigkeit, aber all das scheint im Gegensatz zur Homosexualität uninteressant zu sein. Falls nicht sogar nach Ansicht mancher Fundamentalist_innen wir Lesben und Schwule sowieso an diesen Zuständen schuld sind.

Natürlich finde ich es erst mal komisch, wenn wieder einer behauptet, für den 11. September, Fukushima oder das letzte Erdbeben in Italien seien wir verantwortlich. Jawohl, ich bin Superwoman, unglaublich, über welche Macht ich verfüge. Seid bloß nett zu mir, sonst lasse ich demnächst den Himmel auf euren Kopf fallen. Aber in Wahrheit sind solche Aussagen nicht zum Lachen, sondern zum Heulen. Und an manchen Tagen tue ich das auch. Wenn ich eh schon deprimiert bin und gleich fünf oder zehn Mal hintereinander lesen muss, dass einer iranischen Lesbe Asyl in Deutschland verweigert wurde, ein Fußballtrainer keine Schwulen in seiner Mannschaft haben will, Herr Schäuble uns für Menschen zweiter Klasse hält, denen keine steuerlichen Vorteile gewährt werden dürfen, eine Friedensnobelpreisträgerin sich als homophob erweist, ein Landtagsabgeordneter von Kreuzfahren labert und Jugendliche an einer Bushaltestelle einen Schwulen zusammengeschlagen haben.

Verachtung, Hass, Diskriminierung, auch wenn ich das im Vergleich zu vielen Anderen nur sehr selten persönlich und am eigenen Leib erfahre, begleiten mich diese unguten Gefühle trotzdem vom Aufstehen bis zum Einschlafen. Überall da draußen gibt es Menschen, die mich nicht leiden können, mir Böses wollen. Nicht etwa, weil sie mich kennen oder weil ich ihnen etwas angetan hätte, sondern einfach weil ich lesbisch bin. Das reicht als Begründung.

»Dauernd behauptest du, Lesben und Heteras würden die Welt aus unterschiedlichen Perspektiven sehen. Das ist doch Quatsch. Frauen sind Frauen!«, schrieb mir neulich eine Hete empört und nannte mich einen »Spaltpilz«. Ich habe darauf nicht reagiert, es ist so mühselig, immer wieder zu versuchen, die Unterschiede zu erklären. Meine Antwort kann sie jetzt hier lesen:

Vielleicht sind die Hauptunterschiede, dass Heten nur selten gehasst werden, weil sie heterosexuell sind. Dass sie nie erleben, wie manche Staaten Anti-Heten-Gesetze erlassen. Dass sie nicht wissen, wie ist, wenn ihnen Teile dieser Welt aufgrund ihrer Heterosexualität nicht zugänglich sind. Ihnen niemand sagt, wegen ihrer sexuellen Identität seien sie an einem Tsunami schuld. Und sie morgens nicht heulen, wenn sie die Mails der letzten Stunden lesen.

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