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Hansemann und Taube Helga oder weshalb eine Freundin Sigmar Gabriel nicht als Kanzler will

Angeblich werden in Deutschland jedes Jahr ca. 100.000 Männer zwischen 50 und 80 Vater …

Eine Schätzung, denn exakte Angaben sind nicht zu finden. Aus unerfindlichen Gründen tauchen in Statistiken nur „eheliche“ Kinder auf. Heiraten zum Beispiel die Eltern erst ein paar Monate nach der Geburt, scheint das Alter des Vaters keine Rolle mehr zu spielen. Aber auch ohne genaue Zahlen ist nicht zu übersehen, dass die „alten Väter“ voll im Trend liegen und seit einiger Zeit im Internet, in Printmedien und Talkshows ein Dauerbrenner sind. Jeden Monat scheint ein anderer Politiker, Schauspieler oder Sportler über Fünfzig Nachwuchs zu bekommen und spätestens zwei Minuten nach der Geburt via Interview oder Pressemitteilung zu verkünden, wie glücklich er darüber ist.

Die Kommentare bzw. die Namensnennungen von Ines und samia_e haben mich nachdenklich gemacht. Also bin ich selbst noch einmal auf eine intensivere Suche gegangen und habe die Beobachtungen aus meinem eigenen gleichaltrigen Umfeld bestätigt gefunden. Zumindest auf Westeuropa und die USA scheinen die „Zweitehen“ einschließlich erneuter Vaterschaft 1:1 übertragbar zu sein.

Die sogenannte Midlife Crisis, häufig fälschlicherweise als eine Art Pendant zu den weiblichen Wechseljahren beschrieben, ereilte natürlich auch früher schon Männer über Fünfzig. Sie veränderten dann ihr Aussehen, betrieben irgendeine Trendsportart und legten sich eine wesentlich jüngere Geliebte zu. In diesem Zusammenhang ist die späte Vaterschaft heutzutage nichts wirklich Neues, außer dass bis vor ein paar Jahren darüber kaum oder höchstens hinter vorgehaltener Hand geredet wurde. Sogar Künstler, denen die Gesellschaft ein gewisses Maß an „Lotterleben“ zugestanden hatte, bekannten sich in der Öffentlichkeit nur selten zu ihren „unehelichen Kindern, und Politiker konnten sich das bei den herrschenden Moralvorstellungen erst recht nicht erlauben.

Wulff, Seehofer, Lafontaine, bei all den Namen habe ich den Eindruck, mittlerweile gehört es zum guten Ton, mit über 50 (noch einmal) ein Kind zu bekommen. „Kann ein junger Vater Kanzler werden (wollen)?“, fragte die Welt im Februar und bezog sich dabei auf Sigmar Gabriel. Der Mann ist drei Jahre und einen Monat jünger als ich. Wenn ich im September 2009 noch einmal Mutter geworden wäre, hätte man mich dann ebenfalls als „junge Mutter“ bezeichnet? Bei einer schwangeren Politikerin mit Ambitionen aufs Kanzlerinnenamt in Gabriels Alter würde sicher nicht Land auf, Land ab über die Vereinbarkeit von Regierungsamt und Kleinkind diskutiert werden, sondern wahrscheinlich eher über einen Aufenthalt in der Psychiatrie mit nahtlosem Übergang in die geriatrische Abteilung.

Selbstverständlich ist das Kinderkriegen, egal in welchem Alter, zunächst einmal reine Privatsache der Direktbeteiligten. Außenstehende haben nicht das Recht, solche Lebensentscheidungen auf einer höchstpersönlichen Ebene zu diskutieren oder gar zu be-ver-urteilen. Soll doch der einzelne Otto Normalo gucken, wie seine sechzig Jahre alten Nerven mit dem Dauergeschrei eines zahnenden Babys zurechtkommen. Wenn es sich zufällig ergibt, helfe ich vielleicht sogar mal aus Babysitterin aus. Weder als Einzelpersonen noch als Familienkonstellation sehe ich diese drei Menschen (Mutter, Vater, Kind) als meine Angelegenheit an.

„Männer zwischen 50 und 60 sind im besten Alter. Frauen zwischen 50 und 60 sind alte Schachteln“, behauptete eine meiner Lehrerinnen und daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Diese Aussage hat immer noch Gültigkeit, obwohl sich die Altersgrenzen in Bezug auf Aktivität, Aussehen, Interessieren usw. auch bei Frauen nach oben verschoben haben. Rein formal haben wir die Gleichberechtigung der Geschlechter erreicht und in manchen Kreisen wird sogar akzeptiert, dass Frauen besser als Männer Auto fahren können. Eigentlich könnte frau optimistisch in Zukunft sehen, wenn nicht … ja, wenn nicht diese alten Väter plötzlich überhandnehmen und auf Dauer für Frauen zu einem Problem werden würden.

In den Achtzigern war die Familie Beimer aus der Lindenstraße Deutschlands Vorzeigefamilie gewesen. Vater, Mutter und drei Kinder mit alltäglichen Freuden und Problemen. Hansemann und seine Taube Helga, ein Ehepaar, das sich auf Augenhöhe begegnete. Bis er eines Tages mit der viel jüngeren Anna ins Bett stieg und diese schwanger wurde. „Damit kann ich in meinem Alter natürlich nicht konkurrieren“, heulte Helga verzweifelt, als die Affäre bekannt wurde und sie sich die zwangsläufige Frage stellte: „Was hat die, was ich nicht habe?“.

Scheidung und weitere Seifenopernkatastrophen folgten. Inzwischen ist sie die altgebackene Oma, die sich um die gemeinsame Enkelin im Teenageralter kümmert, während er noch weitere Kinder zeugte und nie mit Opa angeredet wird, sondern wie zu Beginn der Serie immer noch den inzwischen zwar etwas müden und grauhaarigen, aber eigentlich ganz dynamischen Vater gibt. Auch nach 27 Jahren Lindenstraße sind seine Probleme die einer Familie, ihre Probleme nähern sich mehr und mehr der ersten Pflegestufe.

Im realen Leben würde es einer gleichaltrigen Politikerin mit Sigmar Gabriel ähnlich gehen wie Helga mit ihrem Hansemann in der Lindenstraße. Er ist der junge Vater, der sich momentan gerade in Elternzeit befindet und wunderbar über Windeln twittern kann. Um mit ähnlich rührenden Bildern in den Medien zu landen, müsste sie sich in der Nachbarschaft einen Säugling ausleihen und trotzdem wäre es noch nicht einmal annähernd das Gleiche. Auch die Schlagzeile „Endlich mal eine junge Familie in Schloss Bellevue“, weil ein über fünfzigjähriger Politiker namens Wulff dort mit einem Kleinkind eingezogen war, wird im Zusammenhang mit einer ebenso alten Politikerin sicher nicht in absehbarerer Zeit zu lesen sein.

Aber nicht nur die Schlagzeilen verändern sich mit diesen alten Vätern, je mehr es von ihnen gibt, desto mehr wird ihr Lebensstil auf Dauer die Politik insgesamt verändern. Da werden dann irgendwann die ewig jungen Familien mit kleinen Kindern und den entsprechenden Problemen sein, weil Männer ja „von Vorne anfangen“ und auf der anderen Seite Frauen, die sich um ihre Rente sorgen, weil sie schlicht und einfach alt werden und nicht so einfach mal neu beginnen können.

„Wir bekommen eine neue Variante von Sexismus und weiblicher Altersdiskriminierung“, prophezeite neulich eine Freundin, als sie erklärte, weshalb sie den frischgebackenen Vater Gabriel nicht als Kanzler ertragen könnte. Noch bin ich mit meinen Überlegungen nicht so weit wie sie, aber vielleicht schließe ich mich ihr irgendwann an.

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