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Wie wir mal versuchten, die TAZ zu abonnieren

Vor Kurzem feierte die TAZ ihren 40. Geburtstag. Hätte ich nicht zufällig genau in dem Moment eingeschaltet, als im Frühstücksfernsehen darüber berichtet wurde, wäre dieser Jahrestag unbemerkt an mir vorbeigegangen. Wie leider so vieles andere auch, das vielleicht interessant oder wichtig für mich sein könnte, aber allzu oft den Konzentrationsstörungen, dem elenden Überbleibsel meiner Krankheit, zum Opfer fällt.

So lange ist das schon her?“, dachte ich verblüfft und sah mich vor meinem inneren Augen auf einem wackligen Stuhl in der Sonne sitzen. So klar und deutlich, als sei es gestern gewesen. Vor dem Haus unserer Kreuzberger WG, umgeben von Mitbewohner_innen und einigen Menschen aus der Nachbarschaft. Wir rissen uns die wenigen Seiten einer der ersten TAZ Ausgaben gegenseitig aus den Händen, lasen daraus vor und amüsierten uns köstlich.

Schon seit einiger Zeit hatte es damals Gerüchte über die Gründung einer alternativen Tageszeitung gegeben. Eine professionelle Zeitung mit täglichem Erscheinen sollte es werden, keine weitere Stadtteilzeitung oder ähnlich, deren Existenz immer von der Einsatzbereitschaft, Zeit, Lust und Spendenbereitschaft vieler Freiwilliger abhing.

Zur gleichen Zeit wurde noch eine weitere Zeitung gegründet, die sich ebenfalls als eine Art linker Gegenentwurf zur bestehenden Tagespresse verstand. Den Name habe ich vergessen und auch die Suchmaschine mit den zwei oo gibt sich sehr störrisch und will mir nicht behilflich sein.

In meinem Umfeld hatte diese Zeitung mit ihrem biederen Auftreten allerdings keine Chance. Anders als die TAZ legte sie sowohl im Erscheinungsbild als auch in den Formulierungen Wert auf Seriosität. Bei ihr gab es keinen Ausgaben mit leeren Blättern, weil intern gerade ein Streit tobte, und eigenmächtige Textänderungen bzw. Anmerkungen vom Säzzer wären undenkbar gewesen.

Die Liebste hörte meinen verklärten Erinnerungen eine Weile zu und beschloss, mich am Abend mit der Jubiläumsausgabe zu überraschen. Sie hielt an jedem Zeitungsladen entlang der 50 km Strecke bis zu ihrer Firma, um nach der TAZ zu fragen. Die Antworten klangen alle ähnlich.

TAZ? Was is’n das?“ – „Tageszeitung? Nehmen Sie doch die RNZ.“ – „Ich arbeite seit einem halben Jahr hier, danach hat noch keiner gefragt“ – „Wir bekommen immer zwei Ausgaben. Normalerweise verkaufen wir höchstens mal eine davon. Bloß heute waren sie gleich weg.“

Nach mehreren Telefonaten fuhr sie dann noch einmal 30 km weiter und konnte am Sinsheimer Bahnhofskiosk schließlich das reservierte Exemplar in Empfang nehmen.

Abends freute ich mich natürlich über ihr Mitbringsel, war aber auch wieder mal über die Tücken unserer Region frustriert. Ein paar Tage später schenkte mir die Liebste zum Geburtstag den Wälzer „40 Jahre TAZ“ und erzählte, dass wir ab jetzt ein TAZ Wochenendabo hätten.

Am ersten Samstag des Abos lag keine Zeitung in unserem Briefkasten. Wir vermissten sie allerdings auch nicht, denn der Brief aus Berlin mit der Bestätigung und ein paar Infos erreichte uns erst einige Tage danach. Leicht verwirrt lasen wir, die Zustellung erfolge über die Rhein-Neckar-Zeitung. Wenn ich mich richtig erinnere, war die TAZ früher immer mit der Post gekommen, wieso hatte man das geändert?

Und dann auch noch mit der RNZ, seit Jahrzehnten der Platzhirsch – oder müsste das jetzt Platzkuh heißen? – dieser Gegend. Ich erinnere mich, wie schon vor 50 Jahren nach unserem Umzug nach Badisch Sibirien mein Vater dieses Blatt als „unlesbar“ bezeichnet hatte. Abonniert wurde es trotzdem. Wegen der Terminänderungen bei der Müllabfuhr und der Todesanzeigen.

Aus denselben Gründen hatten auch wir lange Zeit die RNZ abonniert. Bis Margot Käßmann alkoholisiert am Steuer erwischt worden war und sich am nächsten Tag mehrere Männer mit Texten, Fotos und Karikatur über die ganzen ersten drei Seiten darüber auslassen durften. Es hatte schon zuvor vieles gegeben, über das wir uns geärgert hatten, diese „Berichterstattung“ brachte das Fass endgültig zum Überlaufen und wir kündigten.

Auch am zweiten Samstag des TAZ Abos bekamen wir keine Zeitung. Weder früh morgens eine von Austräger der RNZ noch gegen Mittag eine vom Postboten. Wir erkundigten uns in der Nachbarschaft nach dem Namen des derzeitigen Zeitungsausträgers. Immerhin bestand ja die Möglichkeit, dass er mit der TAZ einfach nichts anzufangen gewusst und sie vielleicht als vermeintliches Reklameblättchen irgendwo entsorgt hatte.

Uns schlug großes Mitgefühl entgegen. Ein Samstag ohne eine Zeitung mit den ganzen Stellenanzeigen, Danksagungen und Terminen ging ja nun wirklich nicht. Mehrmals wurde uns die eigene Wochenendausgabe der RNZ angeboten, man habe sie bereits ausgelesen. TAZ? Tageszeitung? Uns gelang es einfach nicht, dieses Missverständnis aufzuklären und erhielten bis zum Montag vier Ausgaben der RNZ. Nebenbei erfuhren wir so einiges über die miserablen Arbeitsbedingungen von Zeitungsausträger_innen, und dass kürzlich einer Austrägerin der Fränkischen Nachrichten nach 30 Dienstjahren wegen des Mindestlohns gekündigt worden sein soll.

Montags riefen wir unter der im Bestätigungsbrief angegeben Telefonnummer der Rhein Neckar Zeitung an und erkundigten uns nach der fehlenden TAZ. Leider hieß man Hase und wusste von nichts. Bei der TAZ gab’s Gedichte statt ätzender Musik in der Warteschleife und eine sehr freundliche Frau, die versprach, sich darum zu kümmern.

Vor dem Frühstück am Samstag darauf hatten wir tatsächlich eine Zeitung im Briefkasten. Eine RNZ. Einerseits ein Fortschritt, denn es war anzunehmen, dass wir inzwischen auf irgendeiner Zustellliste standen. Aber andererseits hatte sich unsere Meinung nicht geändert. Wir wollen die RNZ nach wie vor nicht lesen, also ab damit zu der Werbung im Papiermüll.

Auf die erneute Beschwerde am Montag tauchte am Dienstag eine geheimnisvolle Frau mit einem fremden Auto in unserem Hof auf, stieg aus und steckte die vermisste TAZ Wochenendausgabe in unseren Briefkasten. Geheimnisvoll und fremd bedeutet hier bei uns nichts anders, als dass sowohl sie als auch ihr Auto in der Nachbarschaft nicht bekannt waren.

Am vierten Samstag des TAZ Abos verlief es endlich so, wie es vorgesehen war: Die TAZ lag frühmorgens im Briefkasten. Begeistert twitterten wir die frohe Kunde in die Welt hinaus und sahen bildlich vor uns, wie die Samstage nun in Zukunft aussehen würden. Gegen halb neun der hupende Bäckerwagen im Hof, Brötchen kaufen, kurzes Schwätzchen mit der Nachbarin, Zeitung aus dem Briefkasten holen. Danach lange und gemütlich frühstücken und dabei die einzelnen Zeitungsseiten nach und nach über die ganze Küche verteilen.

Dachten wir wenigstens bis heute früh. Am 5. Wochenende unseres TAZ Abos ist wieder alles auf Anfang. Keine Zeitung im Briefkasten, nicht mal die Falsche.

Unser erstes Gefühl scheint uns doch nicht getäuscht zu haben. Ein ländliche Gegend wie unsere und die TAZ passen nicht zusammen. Ganz besonders nicht, wenn sie ausgerechnet über den jahrzehntelangen Meinungsmonopolisten der Region zugestellt werden soll. Zu allem Überfluss auch den beiden spinnerten Lesben, die seit Jahren anscheinend nichts besseres zu tun haben, als den früheren und inzwischen wieder Landwirtschaftsminister respektlos wegen der Christbaumplantagen und seiner Einstellung zur sexuellen Vielfalt anzugreifen.

Okay, letzteres gehört wahrscheinlich in den Bereich der Verschwörungstheorien. Peter Hauk hat bestimmt anderes zu tun, als sich um unsere Wochenendlektüre zu kümmern. Aber irgendeinen Grund muss es doch haben, weshalb das schlichte Wochenendabo einer Zeitung sich auch nach fünf Wochen und mehreren Lösungsversuchen immer noch als Riesenproblem erweist. Nur welchen?

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